Nentwig, Jeanette: Die Design-Ikone. Die Geschichte der Gunhild Liljequist. Mediathoughs-Verlag 2024. 276 Seiten. ISBN 978-3-947724-50-5. Preis 18,50 Euro.
Der Samtrote. Der Sunny Bug. Der Eisblaue. Der Auberginefarbene. Silver und Special Bug. Jeans Käfer und Jubiläumskäfer – lauter Mexiko-Käfer-Sondermodelle, bei denen Käfer-Enthusiasten das Herz aufgeht. Wer hat’s erfunden? Die Gunhild Liljequist war’s! Diese Dame ist die schöpferische Kraft hinter den sympathischen Sondereditionen, auch hinter dem 1972er Weltmeister-Käfer, und die spezielle Innenausstattung des Golf GTI mit seinen Karositzbezügen und dem Golfball als Schaltknauf – alles ihre Ideen! Dafür, dass alle Käfer-Fans ihre Kreationen kennen und feiern, ist die Dame viel zu wenig bekannt. Das muss sich ändern, meinte Jeanette Nentwig. Die Journalistin hat ihren ersten Roman geschrieben, eine Biographie über die vor zwei Jahren verstorbene Volkswagen-Designerin. Die beiden haben sich kennen gelernt, gerade noch rechtzeitig, die alte Dame und die junge Dame.
Für Käferfans also ein Muss, weil Insider- und Hintergrundwissen offenbart wird, das bislang nicht allgemein zugänglich war. Aber: Es ist kein Käfer-Fachbuch, sondern ein biographischer Roman mit Einblicken in die Gedankengänge der Künstlerin bei der Kreation der Sonderkäfer. Gunhild Liljequist wurde als Gunhild Terzenbach 1936 in Berlin geboren, studierte von 1952 bis 1956 Porzellanmalerei, fing 1964 als Farben-Fachfrau im Volkswagen-Werk an und blieb bis 1991 dort. Sie hat die Sondermodelle kreiert, sie schlug die Farben und Innenausstattungen der Fahrzeuge vor. Thematisiert wird beispielsweise das anfängliche Problem mit den Metallicfarben und wie sie dies lösen konnte. Außerdem erzählt sie von der verpassten Chance. für den exaltierten Designer Luigi Colani zu arbeiten, weil sie in Wolfsburg bleiben wollte. Eine große Leidenschaft war die Malerei, bei der sie ebenfalls erfolgreich war und eigene Ausstellungen in Galerien veranstaltete.
Das Buch von Jeanette Nentwig ist ein Roman, kein Sachbuch. Es ist in der Ich-Perspektive verfasst, sodass sich der Käfer-Enthusiast mit der Designerin identifizieren kann. Es dient als Unterhaltungslektüre und nebenbei erfährt man Interna über das Leben als Frau bei Volkswagen. Allerdings ist dieser Bereich nicht dominierend. Dennoch: Wer nur Autos im Kopf hat, der wird wohl zu wenig Informationen finden. Wer sich aber bei Sonnenschein mit einem schönen Buch den Nachmittag versüßen will, der ist hier richtig. Der Schreibstil von Jeanette Nentwig ist geschmeidig und schön, sodass der Leser das Buch nicht mehr zur Seite legen will. Es gehört in die Kategorie: Anfangen und nicht mehr aufhören, bis man fertig gelesen hat.
Viel Raum wird der Kindheit von Liljquist am Anfang des Buches eingeräumt, das wegen der Ich-Perspektive etwas irritiert, weil dem Leser nicht immer klar ist, was dies mit der Designerin zu tun hat. Aber es ist eine Biographie, bei der Liljequist in ihren letzten Lebensjahren mitgewirkt hat. Die Kindheit ist aus ihrer Sicht wohl ein sehr wichtiger Teil ihres Lebens. Geschildert wird die Kindheit in Berlin während des Zweiten Weltkriegs, die Kinderlandverschickungen, die Flucht aus Posen, die Bombennächte und die Nachkriegszeit. Für Leser, die sich für diese Zeit interessieren, ist diese Erzählung aufschlussreich, aber der reine Käfer-Enthusiast wird wohl die ersten 60 Seiten überblättern.
Die Zeit zwischen Studium und Renteneintritt scheinen ohne negative Erlebnisse gewesen zu sein, zumindest werden solche nicht thematisiert. Das wirkt schon fast unrealistisch, ist wohl von Liljequist so gewollt. Das Alter mit Beinbruch, Brustkrebs, starker Beeinträchtigung des Sehvermögens und dem Tod des Ehemannes zeigen die menschlichen Züge der Designerin.
Mehrmals steht die besondere Rolle der Gunhild Liljequist als Frau bei Volkswagen im Fokus der Erzählung – und zwar nicht in einem frauentypischen Beruf wie Sekretärin, sondern als eigenständig denkende und handelnde Frau unter lauter Männern. Das wird im Buch zwar mehrmals thematisiert, allerdings schien dies für Liljequist selbst kein Problem gewesen zu sein, sondern eher für die Gesellschaft, die Presse und für Bekannte. Es ist manchmal so: Die Außenstehenden projizieren auf das Individuum ein Problem, welches das Individuum selbst gar nicht als solches empfindet. Immerhin wird es thematisiert und passt somit in den heutigen Zeitgeist.
bat