Sie kamen zu dritt und gingen zu viert
Ein KGB-Auto. Ein Stasi-Auto. Ein StB-Auto. Ein schwarzer Volga aus den 60er Jahren ist die Ostblock-Neuheit von Whitebox. Er sieht elegant aus. Aber bei manchen weckt er sehr ungute Erinnerungen. Das macht ihn umso spannender und geheimnisvoller.
Der Hirsch ist sein Firmenzeichen. Aber als filigran gezeichnetes, verchromtes Motorhaubenornament war er nicht während der gesamten Bauzeit präsent. Mit dem Hirschen auf der Haube wurde der GAZ M-21 Volga geboren. Doch zu groß war die Verletzungsgefahr für Fußgänger, als dass er hätte bleiben dürfen. Nach nur zwei Jahren wurde das Tier ab Modelljahr 1958 eliminiert.
Der Nachfolger des sowjetischen Pobjeda war ab 1956 der GAZ M-21 Volga. Die Konstruktion stammt von Alexander Michailowitch Newzorov, das Design von Lew Eremeev. Er orientierte sich an den zeitgenössischen Amerikanern (vor allem dem ’53er Ford) und schuf somit eine Form, die auch viel Ähnlichkeit mit dem Opel Kapitän ’53 hatte, der sich nicht nur an US-Vorbildern orientierte, sondern sogar von US-Designern gezeichnet wurde. Jedenfalls war der Volga ein zu seiner Zeit wunderschöner Wagen, und lediglich seine konstruktionsbedingt notwendige Hochbeinigkeit tat der eleganten Erscheinung etwas Abbruch. Aber er war eben für „unzivilisierte“ Straßenverhältnisse geschaffen. Der Kofferraum war groß, der Innenraum war groß, das ganze Auto war groß. Ein idealer sowjetischer Behördenwagen, ein ebenso ideales Taxi.
Die ersten Volgas der Jahrgänge 1956/57 hatten noch den alten, seitengesteuerten Pobjeda-Motor mit zahmen 65 PS unter der Haube, weil es produktionstechnische Anlaufschwierigkeiten mit der Neukonstruktion und der Getriebeabstimmung gab – zudem experimentierten die Sowjets mit einem hydraulischen Drehmomentwandler und einer Dreistufen-Automatik. Wenige frühe Volga hatten dieses Luxusfeature, niemand war damit glücklich, nicht zuletzt, weil es im Ostblock keine Mechaniker gab, die dieses Wunderwerk hätten warten können. Sehr bald erschien der für den Volga bestimmte Motor, eine Neukonstruktion, teilweise aus Leichtmetall gefertigt. 2,5 Liter Hubraum, niedrig verdichtet 70 oder 75 PS für den Binnenmarkt und den Export in andere Ostblockstaaten, hoch verdichtet 80 PS für den Export in den Westen, wo qualitativ hochwertiger Sprit zur Verfügung stand. Die in die DDR importierten Volga hatten den 75-PS-Motor und es waren deren einige, die da kamen. Es gab sogar eine Volga-Montage im Westen, bei Scaldia in Belgien, Antwerpen ab 1962. Diese Wagen trugen Dieselmotoren (von Perkins, Rover, später Peugeot-Indénor) und waren neben dem Mercedes das Brüsseler Taxi schlechthin.
Die ersten Volga-Serienmodelle von 1956 bis 1958 trugen einen Kühlergrill mit horizontalen Streben, in der Mitte als zentrales Motiv ein Sowjetstern. Seine Besonderheit war die Kühlerfigur, ein stilisierter, verchromter Hirsch auf der Motorhaube. Ab 1958 wurde die Front vereinfacht. Rechteckige statt runder Blinker und eine Stahlblech-Abdeckung für die Grillöffnung. 1962 erschien die definitive Version mit den vielen Längsstreben in der dicken, verchromten Umfassung, intern genannt GAZ M-21M, das Whitebox-Modell. So blieb der Volga in Erinnerung, so wurde er bis 1970 gebaut.
Ein GAZ M-21 Volga war das größte und luxuriöseste Fahrzeug, das man in der DDR als Privatwagen kaufen konnte. Auch generell war der Volga das Spitzenmodell des Ostblock-Angebots, abgesehen vom fast ausschließlich in der ČSSR gefahrenen Tatra und dem kaum verbreiteten Sachsenring P240 aus DDR-Produktion. Der Volga repräsentierte das höchste Maß des Luxus’, das Privatleuten im Ostblock erlaubt war, und in der offiziellen Anschauung blieb er ganz knapp hinter dem Punkt zurück, an dem die Dekadenz begann. Einen Volga privat zu fahren, galt als Privileg, wurde aber nicht sanktioniert. Er bedeutet die Grenze des „so weit, doch nicht weiter“.
Der Whitebox-Volga ist ein alter Bekannter aus Ostblock-Kioskserien, ein von Ixo/Sonic sehr schön umgesetztes Modell mit viel Chrom und Silberungen, exakt getroffenen Karosserielinien, cremefarbenen Felgen, elfenbeinfarbenem Lenkrad mit Hupring, mehrteiligem, hellgrauem Interieur und auf dem Dach trägt er eine Antenne. Und noch etwas trägt er, nämlich auf der Motorhaube: den Hirschen, der zwar chronologisch nicht zu ihm passt, stilistisch aber schon, und gerade heute hat ein restaurierter Volga M-21, der etwas auf sich hält, einen Hirschen auf der Haube. Schwarz steht dem Modell natürlich prima, und der Volga wirkt dadurch gefährlich, Angst einflößend. In ihm fuhr der Apparatschik, aus ihm stiegen die Geheimdienstbeamten aus, die nachts klingelten. Sie kamen zu dritt und gingen zu viert. Im schwarzen Volga. Es gab den Volga sogar in kleiner Zahl mit dem 5,5-Liter-V8-Motor aus der Repräsentationslimousine Chaika, ausschließlich für den KGB. Ein klasse Modellauto. Aber im Original, in Schwarz, ein unangenehmer Zeitgenosse.
afs


Modellfotos: bat


Foto: Berthold Werner
Steckbrief:
Whitebox 124245 GAZ M-21 Volga 1962 schwarz. Fertigmodell Zinkdruckguss, Maßstab 1:24. UVP 27,95 Euro.