Dietz, Frank Thomas: Irmscher. Die Story. Innovation und Style seit 1968. 176 Seiten. Königswinter (Heel-Verlag) 2025. ISBN 978-3-95843-697-8. Preis 39,95 Euro.
Zum 50jährigen Firmenjubiläum 2018 wünschte sich Günter Irmscher jr. eine Firmenchronik – so richtig in Buchform, gebunden, gut recherchiert, die Geschichte des Hauses von 1968 bis heute. Wer noch nie ein Buch schrieb, denkt, das mache ein Profi husch-husch, und so wandte sich Irmscher ein halbes Jahr vor dem Jubeltermin an den Heel-Verlag. Der sagte zu und versprach, einen geeigneten Autor zu finden. Der angesagte Autor schreckte ob der Bedingungen zurück: ein halbes Jahr Zeit zu recherchieren, ein – laut Günter Irmscher jr. – im Keller in Kisten verpacktes Firmenarchiv, welches das Haus nicht verlassen dürfe und überhaupt und außerdem äußerte Irmscher phantastische Wünsche an ein Werk, das seinem und seines Vaters Lebenswerk gerecht werden solle. Also sagte Autor Nummer Eins ab und Heel suchte und fand Autor Nummer Zwei, Frank Thomas Dietz, ehemals im Marketing-Bereich bei Opel, Fiat und Hyundai tätig. Heel kündigte das Buch an und kündigte an und kündigte an, und nun, rechtzeitig zum 57jährigen Bestehen von Irmscher, ist es nach siebenjähriger Ankündigung tatsächlich am Markt. Die Opel-Enthusiasten haben es sehnlich erwartet, denn Irmscher ist doch einer der wichtigsten Namen in der Opel-Tuning- und -Motorsportgeschichte. Ein Steinmetz-Buch, geschrieben von des Firmengründers Sohn, gibt es bereits seit 2007, ebenfalls im Heel-Verlag.
Was ist für den Leser das Ergebnis siebenjähriger Ankündigung und ebenso langen Wartens: 175 Seiten Irmscher pur, ein Buch mit dem Untertitel „Die Story“, also „die Geschichte“. Die Geschichte von Irmscher liegt vor, von 1968 bis Anfang 2025, aber aus welcher Perspektive wird sie erzählt? Wenn ein Autor eine Firmengeschichte niederschreibt, die in einem unabhängigen Buchverlag erscheint, dann sollte sie unabhängig, objektiv, kritisch sein. Erzählt er sie als Honorarempfänger der Firma, schreibt er also ein Werbetraktat oder eine Hommage, so erwartet das niemand. Im Heel-Verlag erwartet der Leser dies aber schon. Dietz schreibt, wie ihm Irmscher jr. die Firmengeschichte erzählte und diktierte: ein Halleluja auf Irmscher in zwei Generationen, und nie machte die Firma Irmscher einen Fehler, sie erlebte keine Niederlage, entwickelte sich teleologisch auf das unternehmerische Ziel zu, und letztlich profitierte Opel stets von der Innovationsfreude, der handwerklichen Leistung, dem Genius von Irmscher. Die anderen Auftraggeber Irmschers ebenso. Und Irmscher hatte vermeintlich ein Alleinstellungsmerkmal in der Opel-Sportszene, es gab offenbar keine Konkurrenz. Dietz schafft es, 175 Irmscher-Seiten zu füllen, ohne auch nur ein Mal den Namen Steinmetz zu erwähnen, andere Opel-Tuner erst recht nicht. Die komplette Opel-Sportgeschichte wird tatsächlich ohne Steinmetz abgehandelt. Günter Irmscher sen. fuhr zwar mal einen Commodore A, das wird erwähnt. Wo er herkam? Kein Wort! Mit keinem Wort wird auch der Übergang vom Senior zum Junior erwähnt. Der Leser erfährt zwar das Todesjahr 1996, aber offenbar spielte es keine Rolle auf dem unaufhaltsamen Weg des Unternehmens nach vorne und oben.
Natürlich ist die Irmscher-Geschichte komplett erzählt, der Opel-afine Leser erfährt, was er wissen will, von Querkopf-Zylinderköpfen und poppigen Mander-Kadetten über Breitensport-Tuning an Opel-Wagen, Röhrls früheste Aktivitäten im Irmscher-Commo bei der Monte 1973, das Sportengagement, Sondereditionen für Opel, Irmscher heute als kleiner Konzern. Alles da! Aber alles nur positiv, gut, erleuchtet. Es gab nicht mal eine Ölkrise, es gab kein Umdenken in Sachen Automobil nach derselben. Es ging immer alles nur aufwärts, die Kundenzahlen, die Siege, der Umsatz… Und so mancher Wagen, von dem wir wissen, dass Irmscher damit wenig zu tun hatte, wie der Ascona/Manta 400, wird in lavierender Formulierung doch Irmscher zugeschrieben. Wenn etwas doch floppte (beispielsweise der Wartburg New Line), so ist dies ausschließlich dem Auftraggeber zuzuschreiben, der die Situation falsch einschätzte.
Der Schreibstil entspricht dem Inhalt, er ist geradezu euphorisch mit der Absicht, euphorisierend zu wirken. Das Buch liest sich eben wie von der Marketingabteilung verfasst. Das Lektorat ist uneinheitlich, immerhin nennt das Impressum vier Lektoren. Der eine gab sich Mühe, der andere hatte wenig Lust. Das merkt man, und die „explodenden Kosten“ auf S. 134 sorgen für Schmunzeln beim Leser. Der letzte Teil des Buches unter dem Titel „Irmscher heute“ entspricht tatsächlich einem reinen Werbeprospekt, und hier ging sowohl dem Autor als auch dem zuständigen Lektor die Luft und die Lust aus. Der Leser könnte fast meinen, dieser letzte Teil stamme nicht aus der Feder des Autors, sondern sei eins zu eins vom Irmscher-Marketing übernommen.
Die Fotos sind, zumindest zum großen Teil, wunderbar und oftmals noch nie veröffentlicht. Da fand sich in den Kellerkisten des Günter Irmscher jr. so manche Pretiose. Natürlich sind auch sattsam bekannte und häufig abgenudelte Fotos zu sehen, auch etliche Werksfotos von Opel. Aber generell ist die Fotoauswahl superb, bereichernd, ansprechend, inspirierend. Zu den Fahrzeugfotos gesellen sich Prospektrepros und Katalogauszüge, Zeitschriftencover, wenn ein Irmscher-Fahrzeug Titelheld war, auch mal Bilder einzelner Technikkomponenten und sogar Datenblätter mischen sich in das Sammelsurium. Das etwas konventionelle, somit aber den Leser nie überfordernde Layout wird der Sache auch gerecht. Die meisten Leser sehen im Irmscher-Buch eher ein Geschichtsbuch, und das sollte nicht im social-media-Stil geschaffen sein.
Ein zwiespältiges Buch also. Es ist im Merkel’schen Sinne alternativlos für den Opel-Sport-Enthusiasten und Irmscher-Fan; es muss notwendigerweise neben dem Steinmetz-Buch aus gleichem Verlag im Bücherregal stehen. „Man“ braucht das Irmscher-Buch. Aber es ist ein Gefälligkeitsbuch, obgleich das gar nicht nötig gewesen wäre. Die Geschichte von Irmscher hätte Objektivität und historisch-kritische Recherche nicht nur ausgehalten, sondern auch verdient, um als unabhängiges Buch bestehen zu können. Daraus geworden ist ein Marketing-Buch von einem Autor, der aus der Marketing-Ecke kommt und das Lob so dick aufträgt, dass der Leser nicht immer weiß, ob er Fakten oder Werbung beschert bekommt. Für Fakten zahlt man gerne. Für Werbung zahlt man gemeinhin nicht.
afs