Jungs, eure Moppeds!
Heute gehobene Mittelklasse, damals das Ende der Fahnenstange: Minichamps macht zwei Moppeds der Extraklasse aus dem Jahre 1972, die 750er Suzi und die Kawa 900. Extraklasse ist auch die Machart. Minichamps beweist sich mit den Bikes als Modellbaumeister.
Deutschland war eine Nation der Motorradfahrer. In den 30er Jahren und bis Mitte der 50er, bis das Wirtschaftswunder voll im Schwung war. Dann strebte der Deutsche nach einem Dach überm Kopf, je nach Geldbeutel Kleinstwagen, VW Käfer, Opel Rekord oder Mercedes. Alte Haudegen, oftmals auch solche, die „nur“ einen Motorradführerschein hatten und sich vor der Klasse-3-Prüfung fürchteten, blieben dem Motorrad auch in den 60ern treu. Aber die Motorradindustrie lag am Boden. Einzig BMW hielt daran fest und konstruierte Ende der 60er sogar eine neue Boxer-Maschinen-Generation, die im staatlich subventionierten und steuerbegünstigten West-Berlin gebaut wurde.
In dieser Zeit, zweite Hälfte 60er Jahre, erlebte das Motorradfahren eine zaghafte Renaissance, aber unter anderen Vorzeichen. Das Motorrad war kein Fortbewegungsmittel mehr, sondern ein sportliches Hobby arrivierter Herren, die sich ein „Bike“ als Zweitfahrzeug leisten konnten, dadurch ihre Jugend unvergänglich zu machen glaubten, auch Naturgenuss spielte eine Rolle. BMW bediente nur die große Klasse ab 500 cm³. Alles, was darunter war, requirierten die Japaner für sich. Andere Ausländer wie Triumph oder Ducati und Benelli spielten auf dem westdeutschen Motorradmarkt (nahezu) keine Rolle. Die Japaner hingegen schon. Honda war ab 1962 als Motorradimporteur in Westdeutschland präsent. Kawasaki-Maschinen wurden ab Ende der 60er Jahre durch den Importeur Detlef Louis vertrieben, gleichzeitig etablierte sich Suzuki-Deutschland. Yamaha war, wie Honda, schon länger hier vertreten und trat erstmals auf der Internationalen Fahrrad- und Motorradausstellung (IFMA) 1964 auf, Yamaha Motor Europe wurde 1968 in den Niederlanden gegründet.
Die erwähnten, etablierten Herren, aber auch der Nachwuchs, strebte nach Größerem als die üblichen 250er und 350er. Die höchste Hubraumklasse war Ende der 60er Jahre die 750-cm³-Maschine, bei BMW mit der R75/5 vertreten, alte Schule, Zweizylinder-Boxer. Aber gleichzeitig wurde die Honda CB750 Four mit Vierzylindermotor präsentiert und ließ die BMW alt aussehen. Als BMW 1973 mit der R90/6 Hubraum nachlegte, hatte ein Jahr zuvor die Kawasaki Z1 900 Super4 bereits Maßstäbe gesetzt. Die Japaner hatten modernere und stärkere Motoren als BMW, obendrein mussten sie weniger oft gewartet werden und waren sportlicher. BMW war fortan die Marke der Traditionalisten.
Frankensteins Tochter versus Wasserbüffel
Als Prototyp stand die Suzuki GT750 auf der Tokioter Motor Show 1970 und kam ein Jahr später, im September 1971, auf den Markt. Sie wurde aus der Suzuki T500 entwickelt und erhielt einen extra Zylinder und Wasserkühlung. Sie hatte einen Dreizylinder-Zweitakt-Motor mit 739 cm³ Hubraum und satten 67 PS Leistung bei 6500 Umdrehungen, vorne und hinten Trommelbremsen. Schon in ihrem zweiten Modelljahr 1973 wertete Suzuki die 750GT mit vorderen Doppelscheibenbremsen auf. Bis 1977 war sie im Programm und wurde dann, wie alle Zweitakter, Opfer gestiegener Abgasvorschriften.
Ein anderes Kaliber, weit moderner konstruiert, war die Kawasaki 900 Z1, im Herbst 1972 erschienen, aber eben mit Vierzylinder-Viertaktmotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen und vier Vergasern (903 cm³, 79 PS bei 8000 Umdrehungen), von Anfang an vordere Scheibenbremse. Zuvor war Kawasaki, wie Suzuki auch, mit Dreizylinder-Zweitaktern unterwegs gewesen. Aber die Honda CB 750 Four von 1969 weckte bei den Kawasaki-Ingenieuren den Instinkt und Ehrgeiz, es Honda gleichzutun oder Honda gar zu überflügeln und ein Oberklasse-Bike mit quer eingebautem Vierzylinder-Viertakter zu konstruieren. An den Suzuki-Leuten ging dies Wetterleuchten hingegen zunächst einmal unregistriert vorbei.
Weil Honda schneller war, reagierte Kawasaki mit mehr Hubraum, 900 statt 750 Kubik und zwölf Mehr-PS gegenüber der Honda – anfängliche eklatante Fahrwerksschwächen bekam Kawasaki im Laufe von Modellfelgen in den Griff. Die Z1 Super4 galt als erstes „Super Bike“, als technischer Meilenstein, und der Motor war zwölf Jahre lang, zuletzt auf 1000 cm³ aufgebohrt, im Einsatz. Liegend konnte ein leichtgewichtiger Fahrer fast Tempo 230 erreichen, das war damals unerhört. Es war das schnellste Serienmotorrad auf dem europäischen Markt. Den Unterschied zwischen der gemächlichen, fast schon altväterlichen Suzuki und der angebeteten Kawasaki belegen die zeitgenössischen Spitznamen: Während die Kawa als „Frankensteins Tochter“ bezeichnet wurde, musste sich die Suzuki mit „Wasserbüffel“ zufrieden geben. Heute gibt es, auch in Deutschland, eine regelrechte „Classic-Z-Szene“. Aber eine alte Suzuki GT 750 muss man auf Veranstaltungen regelrecht suchen.
Die pure Technik zwölf Mal herabgezirkelt
Das Minichamps-Suzuki-Modell hat Doppel-Duplex-Trommeln, also Modelljahr 1972 und Typbezeichnung GT750 J. Es gab das Original in zwei Farben, Candy Jackal Blue und Candy Levender (Rotmetallic), auf einigen Märkten zusätzlich Candy Yellow Ocher (Goldmetallic). Die Suzuki 750GT erschien bei Minichamps erstmals 2004 in Goldmetallic, 2009 folgte Rotmetallic, nun kommt die Wiederauflage in Blaumetallic (unser Fotomuster) und Grünmetallic, das beim Original erst 1973 erhältlich war. Als Minichamps-Modell jünger ist die Kawasaki Z1, erstmals 2008 am Markt gewesen, damals braun/orangefarben lackiert, im Folgejahr in Candy Green/Yellow, nun in Blaumetallic und Rotmetallic erneut erschienen und offenbar so begehrt, dass die Rote werksseitig bereits ausverkauft ist – bei den Fachhändlern sind aber noch genügend vorhanden.
Kawasaki hatte also Anfang der 70er Jahre der Motorradwelt gezeigt, wo der Hammer hängt. Und Minichamps zeigte es vor 20 Jahren der Modellmotorradwelt mit einzigartigen Wiedergaben der Originale. Die Modelle haben bis heute nichts an Attraktivität verloren, unter Short-Cuts leiden die Neuauflagen glücklicherweise nicht. Modellbauerische Leistung ist bei einem Motorrad weit mehr gefragt als bei einem Auto. Keine Karosserie verdeckt die Technik, keine Effektlackierung täuscht über irgendetwas hinweg. Ein Motorrad, vor allem ein 70er-Jahre-Bike ohne jedwede Verkleidung, ist pure Technik. Gleichsam ist hierbei die „perfekte Linie“ nicht gar so wichtig wie bei einer Autokarosserie – aber keine Sorge, auch die Linie stimmt bei den Minichamps-Zweirädern. Und die kleinen, bunt lackierten Bereiche, Tanks, Seitendeckel und Bürzel, sind so aufwendig und sauber lackiert wie bei jedem anderen Minichamps-Modell auch.
Es sind chromblitzende Bikes mit herrlichen Speichenfelgen, die Haptik der Materialien besticht durch Authentizität (beispielsweise sehen die Sitzbänke sehr nach Kunstleder aus), auch kleinste technische Details wie Vergaser, Federbeine, die Vordergabel sind minutiös originalgetreu, vollständige Verkabelung, Schriftzüge und Zierlinien auf dem Tank völlig akkurat, klasse Streuscheiben, die Armaturen 1A. Bewegliche Teile gibt es auch. Natürlich rollen die Maschinen (was bei Motorradmodellen eigentlich nicht nötig ist), die Gabel lenkt, beide Ständer (zweibeiniger Hauptständer und Seitenständer) sind betriebsbereit. Die Rückspiegel liegen lose bei, müssen vom Käufer befestigt werden. Das ist kein Hexenwerk, aber wir haben es nicht gemacht, weil wir die Bikes in ihrer Originalverpackung lagern. Und auch die ist erwähnenswert: Es handelt sich um stabile Klappboxen in staatstragendem Schwarz, in deren Deckelinnenseite der Käufer zweisprachig deutsch/englisch etwas über die jeweilige Maschine erfährt. Gut geschützt sind die Motorräder durch vakuumtiefgezogene Formteile, welche den Weg von China zur heimischen Vitrine sicher gestalten.
Auch wer sich, wie der Rezensent, primär als Sammler von Automobilminiaturen sieht, hat mit derart elaboriert gemachten Bikes seine helle Freude – nicht nur des Vorbildes wegen, das einen, im konkreten Falle, in die Kindheit und deren Asphaltverzückungen zurückversetzt. Freude hat man auch an dieser Zurschaustellung schierer Technik, die einen sehr fähigen Product Manager erfordert. Ohne vom Fach zu sein, erlauben wir uns die Aussage: Ein solches, unverkleidetes Motorrad stellt seinen Modellschöpfer vor größere Herausforderungen als ein halbwegs modernes Auto. Und das gut zu bewältigen, verdient Respekt.
afs



Modellfotos: bat



Foto: Tokumeigakarinoaoshima

Foto: Ronald Saunders
Steckbrief:
Minichamps 122162102 Suzuki GT 750 J 1972 blaumetallic und 122164102 Kawasaki 900 Z1 „Super 4“ 1972 blaumetallic. Fertigmodelle Zinkdruckguss/Kunststoff, Maßstab 1:12. UVP je 199,95 Euro.