Das sagenhafte Goldland
„Eldorado“ bedeutet auf Spanisch das sagenhafte Goldland in Südamerika, ein mythologischer Ort, eine Legende. Legendär ist auch der offene Cadillac Eldorado, vor allem der ’76er, der letzte Convertible. BoS beschert uns ein Exemplar, 1,2 Kilo feinstes Resine, ein Dinosaurier aus einer untergegangenen Ära, ein Objekt der Träume von einer anderen, vermeintlich besseren, jedenfalls glorifizierten Zeit.
Etwas „great again“ machen zu wollen, impliziert, dass es in der Vergangenheit „great“ war und nun nicht mehr „great“ ist. Es ist also keine optimistische Forderung, sondern in erster Linie das Bejammern vergangener Glorien. Nur sekundär schwingt mit, dass es ein Potenzial gebe, die alte Größe wieder herzustellen. Bezüglich amerikanischer Fahrzeuge bedeutet „Make America great again“ den in nahezu allen Staaten mit automobiler Kultur bestehenden Trend, den Fahrzeugen der (jeweiligen) Kindheit oder der allgemein anerkannten „goldenen Zeiten“ als Oldtimer, Retrospielzeug, Vergangenheitsbewältigung oder Eskapismus zu frönen. In den USA sind das die Fahrzeuge vor dem Ölpreisschock, vor der Dieselmanie, vor dem „Downsizing“ – also die Fahrzeuge bis inklusive der 70er Jahre. Und vor allem der 70er Jahre. Denn diejenigen, welche die 50er noch live erlebt haben, sind heute alt, und auch wenn sie dem „forever young“-Credo anhängen (was vor allem die Amerikaner gerne tun), so können sie doch nicht mehr so, wie sie wollen. Jene, welche in den 60ern sozialisiert, auch automobil sozialisiert wurden, sind noch nicht alt, aber sie werden es und spüren es in den Knochen und manchmal auch im Geldbeutel.
Also die 70er, die „glorreichen“ 70er. Ein Jahrzehnt des Umbruchs in den USA, eines Abstiegs, der auf hohem Niveau begann. Die Autos waren schnell und riesig, selbst ein Allerwelts-Chevrolet hatte einen mächtigen V8 mit hunderten von PS unter der Haube, der Benzinverbrauch war immens, aber Erdöl gab es zuhauf. Es kam aus dem Nahen Osten, und der war damals so unsicher und unzuverlässig wie ehedem und heute noch. Araber und Israelis bekriegten sich, die USA unterstützten Israel, aber die Araber hatten das Öl und drehten den Ölhahn zu. Das Erdöl für die Cadillacs und Lincolns, aber auch als Energielieferant für die Klimaanlagen in den großen Häusern, wurde knapp und teuer. Die Wirtschaft brach ein, die Amerikaner kauften spritsparende Europa-Importautos und der Niedergang der US-Autoindustrie in Detroit (damals die Stadt mit den meisten Morden in den USA) begann. Die Amerikaner suchten Halt in ihrem starken Präsidenten, aber der stolperte über den Watergate-Skandal und löste einen politischen Vertrauensbruch aus. Viele, vor allem jüngere Amerikaner zogen sich aus dem bürgerlichen Leben der Zivilgesellschaft zurück, suchten Halt in spirituellen Kreisen, bei selbst ernannten Gurus und verweigerten sich der Gesellschaft. Andere kämpften für ein neues, linkes Amerika, waren vom Vietnam-Krieg aufgewühlt und von wildem, antikapitalistischem Idealismus beflügelt. Die einen flüchteten sich in die Diskotheken, die anderen wollten die Welt verbessern und wandten sich dem Umweltschutz zu, Frauen und Afroamerikaner forderten ihre Rechte ein. Nixons Nachfolger als Präsidenten, Gerald Ford und Jimmy Carter, waren weitgehend zahnlose Tiger. Einen Aufschwung gab es erst 1981 unter Ronald Reagan durch den Rückbau des Staatsapparates, Privatisierung und den „Krieg der Sterne“, der letztlich die Sowjetunion in die Pleite trieb und den Ostblock auflöste. Die 70er Jahre in den USA waren also kein ruhiges Jahrzehnt, sondern geprägt von der Infragestellung tradierter Normen und Werte, einer Dominanz des individuellen Ich durch spirituelle Selbsterneuerung und vom Ruf nach sozialem Wandel.
Dennoch werden sie automobilistisch glorifiziert, eben weil sie in dieser Hinsicht das letzte Jahrzehnt darstellen, in dem Amerika noch „great“ war – und dieser Trend herrscht schon viele Jahre vor, völlig unabhängig von der MAGA-Kampagne des derzeitigen Präsidenten. Damals, als Amerika noch „great“ war, baute General Motors den Cadillac Eldorado. Und nie war er größer und mächtiger als die Generation 1971 bis 1978, von BoS als 1976er Cabriolet achtzehnfach miniaturisiert. Er war das so ziemlich unvernünftigste Fahrzeug, das man kaufen konnte: keinerlei Effizienz, das Fahrverhalten eines Ozeandampfers, kein Auto verbrauchte mehr Sprit als er. Für ihn sprach aus Vernunftgründen rein gar nichts, aber er wurde gekauft – ausschließlich, weil er ein Statussymbol war – das amerikanische Statussymbol schlechthin. Genau das symbolisiert er noch heute als 50jähriger Klassiker. Und das mit Ansage. Als GM 1976 ankündigte, in jenem Jahr die Produktion des Eldorado Convertible einzustellen, kauften ganz schnell noch 14.000 Kunden einen solchen Wagen, wohl wissend, dass er als Spekulationsobjekt tauge. Recht hatten sie!
Modellautos sind nicht selbsttragend
Das Modell lässt ebenfalls jegliche Effizienz vermissen – im positiven Sinne! Es besteht aus 1,2 Kilo purstem Resine und ist somit einer der schwersten Resine-Personenwagen, mit dem wir jemals unsere Küchenwaage malträtierten. Und schon müssen wir uns einschränken. Das Resinemodell hat ein Rückgrat aus Weißmetall, eine Metallbodenplatte – wohl aus Stabilitätsgründen. Denn Modellautos sind bekanntlich nach wie vor in traditioneller „Rahmenbauweise“ gefertigt, nicht selbsttragend.
Das Modell an sich ist nicht neu (laut Model Car World-Productmanager Martin Neumann wird es keine neuen BoS-Resine-18er mehr geben), sondern stammt noch aus der Zeit, als der damalige MCW-Inhaber Klaus Kiunke in die USA expandierte. Somit kommt der Formenbau von Z-Models (Marken Ottomobile und GT Spirit), was für ihn spricht. Von der sehr guten Gestaltung abgesehen, ist der Caddy schlichtweg ein beeindruckendes Automobil, alleine seiner Größe wegen. Eine 1:18-Lastwagen-Zugmaschine nimmt auch nicht mehr Vitrinenfläche ein als er. Das Modell besticht durch viel Chrom, Reifen mit dünnen, weißen Flankenringen, es ist mit blauen Kennzeichen im US-Bundesstaat Nevada zugelassen, innen viel heller Plüsch und viel dunkles Holzimitat. Richtig klasse gemacht ist das Cadillac-Logo auf der nicht enden wollenden Motorhaube, ein Fotoätzteil mit lackierten Partien. Die Außenspiegel muss der Käufer selbst montieren (warum?), worauf wir verzichteten. Die Farbe der Neuauflage ist Amberline Firemist 91, wobei der Begriff „Firemist“ als Bezeichnung für besonders edles Metallic (gegen Aufpreis) fungiert, und wörtlich übersetzt bedeutet das Ganze „helles Bernsteinfarben Feuernebel“ – wobei das auch wieder „great“ klingt. Das Modell gibt es in 300er-Auflage exklusiv bei Model Car World.
Ein Leuchtfeuer in der „Malaise Era“
Seit 1967 war der Eldorado ein Fronttriebler, gleiche Technik wie der ein Jahr ältere Oldsmobile Toronado, und somit der größte Fronttriebler der Welt. Das Karosseriedesign der Modellreihe 1971 bis 1977 stammt von Wayne Kady unter Bill Mitchell und wurde, im Vergleich zum 1967er Vorgänger, der als Designikone galt, als stilistisch gleich, aber substanziell plumper bezeichnet. Dafür gab es nun, ab 1971, neben dem Eldorado Coupé auch ein Cabriolet (die Amerikaner nennen es „Convertible“). So progressiv der Frontantrieb war, so traditionell die Konstruktion in Rahmenbauweise mit hinterer Starrachse, immerhin mit Schrauben- statt Blattfedern. Im Laufe seiner Bauzeit wurde das Design ein wenig modifiziert, vor allem im Bereich der hinteren Kotflügel, der Hüftschwung wurde schärfer gezeichnet, die Abdeckung der Hinterräder verschwand. Der riesige 8,2-Liter-Bigblock-V8 brachte es auf bescheidene Leistungen, verbuchte aber für sich den Superlativ, der bis dato hubraumgrößte Pkw-Motor der Nachkriegszeit zu sein. 1976, dem Modelljahr der BoS-Version, brachte der Hubraumriese nur 190 PS mit Vergaser und 215 mit Einspritzung.
Das war sinnbildlich für die so genannte Malaise Era, die Zeit circa 1973 bis 1981/82 in der US-Automobilproduktion, in der ineffiziente Fahrzeuge in schlechter Qualität mit wenig Leistung und viel Plüsch, also unattraktive Autos, geschaffen wurden. Lange Zeit galten diese Autos in der Sammlerszene als uninteressant (von Leuchtfeuern wie dem Eldorado abgesehen), aber zunehmend begeistert sich die Szene für die „Malaise“-Fahrzeuge – schlichtweg aus demographischen Gründen: Die Kohorte jener, die als Kind auf „Malaise“-Rücksitzen spielten, ist heute etabliert und geldig genug, um diese Autos zu erhalten. Cadillac sprach ab 1976 zu Recht vom „Last American Convertible“, kündigte aber dessen Ende zum Ablauf des Modelljahrs 1976 an. Ein Run setzte ein! Aber Cadillac hatte bereits Jahre vorher die Verdeckmechanismen auf Vorrat gekauft, mehr als 14.000 waren nicht am Lager, somit konnten 1976 nur 14.000 letzte Eldorado Convertibles gebaut werden. Verkaufen hätte Cadillac viel mehr können.
afs




Modellfotos: bat



Foto: Spanish Coches
Steckbrief:
BoS 419 Cadillac Eldorado Convertible 1976. Fertigmodell Resine, Maßstab 1:18. Auflage 300 Exemplare. UVP 119,95 Euro exklusiv bei Model Car World.