Ent oder weder
Nun gehen wir davon aus, dass das Ideal zumeist unerreichbar ist: ein Ferrari 250 GTO von Kyosho und ein zweiter von CMC. Nein, es gilt das ent oder weder, nicht das sowohl als auch. Kyosho bringt seine GTO-Interpretation in drei neuen Varianten. Eine davon ist in pastelligem Hellgrün und somit farblich so was von unferrarös, dass uns die Wahl nicht schwer fiel.
Nicht alles, das am preislich oder qualitativ obersten Ende positioniert ist, degradiert das Preiswertere zum Kompromiss. Es ist stets eine Frage des Bezugspunktes. Wer das Niveau einer Sammlung an Amalgam misst, wird mit nichts zufrieden sein, das sich auf niedrigerem Niveau befindet – wobei eben mit Amalgam wohl auch kaum etwas vergleichbar ist. Mit CMC ist wenig vergleichbar, aber es gibt Vergleichbares. Ist ein Kyosho Ferrari 250 GTO mit einem CMC Ferrari 250 GTO vergleichbar? Kommt darauf an, wie man das Wort „vergleichbar“ definiert. Generell kann man alles mit allem vergleichen, sofern es einen gemeinsamen Nenner (hier: das Vorbild Ferrari 250 GTO) hat, aber schon bei der Frage nach dem Material eines Modellautos oder dessen Funktionen scheiden sich die Geister – einfach wegen der Ausschlussfunktion, die so manche Machart auf so manchen Sammler hat.
Kyosho und CMC-Modelle sind vergleichbar, sie haben viele Gemeinsamkeiten – über das Vorbild hinweg. Sie sind aus Zinkdruckguss, sie sind all open, sie sind hochwertig in Ausführung und Preis. Und doch sind sie unterschiedlich in Ausführung und Preis. Ein CMC-GTO (präsentiert in Caramini-online am 28. Mai 2024) hat einen Neupreis von knapp 700 Euro, für einen Kyosho-GTO verlangt der Importeur Minichamps 420 Euro. Für manche Sammler ist beides weit jenseits dessen, was sie für ein Modellauto auszugeben gewillt sind. Für andere ist der Kyosho im Rahmen des Machbaren, der CMC aber nicht mehr (wobei dies oftmals eher eine Frage des Wollens und nicht des Könnens ist). Und so mancher „braucht“ ganz einfach keine CMC-Qualität, weil er grundsätzlich anzweifelt, ob die Detailversessenheit und das Kunsthandwerk dieser Modelle für ihn konkret notwendig und nützlich ist. Nicht jeder wiegt sein Modell permanent in Händen und erkundet es mikroskopisch. Nicht jeder will riskieren, wegen eines falschen Handgriffs (oder gar wegen eines falschen Blicks) sein Modell strukturell zu gefährden. Und viele wollen ihr Auto regelmäßig in die Hand nehmen und sogar ein wenig auf dem Schreibtisch damit spielen. Dafür ist ein CMC denkbar ungeeignet, aber es ist die Domäne des Kyosho. Solide ist er, dennoch elaboriert. Und er passt in eine „normale“ Sammlung, ist kein Leuchtfeuer oder Solitär. Einen Kyosho kann man Modellen anderer Hersteller hinzustellen, ein CMC fühlt sich hauptsächlich unter seinesgleichen wohl. Es ist also offensichtlich: Vergleichbar sind die Modelle durchaus, aber die Käufer-Zielgruppe ist eine andere. Und deshalb ist der Kyosho kein Kompromiss in Sachen Ferrari 250 GTO, sondern das Ergebnis einer ent oder weder-Überlegung.
Innes Ireland profitierte vom Koma Stirling Moss’
Der Kyosho Ferrari GTO ist ein seit 17 Jahren viel geliebtes Fahrzeug (2008 erstmals erschienen) und es wird ihm formal absolute Vorbildtreue bescheinigt. Der Ferrari GTO gehört zu den best dokumentierten Vorbildern überhaupt, und er ist, zumindest für die ältere Generation, eines derjenigen Fahrzeuge, welche die meiste Faszination ausstrahlen. Man kennt ihn, und deshalb sieht man seine Verkleinerung viel kritischer als diejenige eines Nissan Stagea. CMC wird dafür gescholten, ein Vorbild mit einem nicht korrekt reparierten Unfallschaden miniaturisiert zu haben. Diesen Vorwurf macht Kyosho niemand. Und so manche Details, die den CMC unvergleichlich schön machen, hat Kyosho in seiner High-End-Serie ebenfalls verwirklicht, aus der die nun lieferbaren neuen Varianten stammen. So wird die Motorhaube nun auch mit Lederriemchen (statt Plastik) geschmückt, der Innen- und Motorraum erfuhr etliche Aufwertungen und der Tankdeckel lässt sich öffnen (was allerdings den Preis nach oben schraubt). Die Öffnungen hinter den hinteren Radläufen sind aber, trotz High End, nach wie vor keine Öffnungen, sondern Schließungen. Die 2024er Neuauflagen basieren also auf der früheren High-End-Version und haben zusätzlich (je nach Version) ein neues Rechtslenker-Armaturenbrett, sie tragen die „offene Nase“ (also drei Luftöffnungen vorne), die Abrisskante (vulgo: Heckspoiler) ist teilweise anders geformt, und Kyosho hat sich einige extravagante Vorbilder in unüblichen Farben ausgesucht – wobei „üblich“ bei einem Ferrari ja nicht nur Rot ist.
Im März lieferte Kyosho drei neue Varianten aus, die nun beim Importeur Minichamps angekommen sind: Im klassischen Rot der Wagen von Pedro Rodriguez, Sieger der 24 Stunden von Daytona (# 18), stahlblaumetallic der Wagen von Graham Hill/Olivier Gendebien des North American Racing Teams (N.A.R.T.), Platz 2 in Sebring 1962 (# 24) sowie unser Fotomuster in pastelligem Hellgrün, von Innes Ireland vom U.D.T. Laystall Racing Team bei der 621 Kilometer langen Tourist Trophy 1962 in Goodwood auf den ersten Platz chauffiert (# 15) – mit nur drei Sekunden Vorsprung auf Graham Hill, ebenfalls im GTO.
Der Schotte mit Namen Ireland (1930-1993) fuhr 1959 bis 1966 in der Formel 1, in Erinnerung blieb sein Sieg auf Lotus beim Großen Preis der USA 1961, er nahm auch acht Mal an Le Mans teil. Mit seinem GTO fuhr er die 24 Stunden von Le Mans 1962, kam aber nicht an (die Lichtmaschine krepierte). 1963 schaffte er mit demselben Wagen Platz 6. Das Auto mit der Chassis-Nummer 3505GT überlebte, nicht nur seinen Herrn, sondern es überlebte bis heute und wurde 2012 für 35 Millionen Dollar an den Geschäftsmann und Mobilfunkpionier Craig McCaw aus Seattle/USA verkauft. Ireland war übrigens nicht Erstbesitzer. Das war Stirling Moss, aber der fuhr ihn nicht, weil er kurz nach der Anschaffung im Jahr 1962 seinen lebensgefährlichen Crash in einem Lotus Formel 1 hatte. Moss war in Goodwood gemeldet, konnte aufgrund seines Unfalls nicht starten, weil er im Koma lag. Innes Ireland übernahm das Auto für das Rennen. In genau derselben Version wie dieses Kyosho-Modell gibt es den Ferrari auch von CMC (Nr. M-247).
Über den GTO im allgemeinen brauchen wir nichts zu sagen, denn es gibt nichts mehr zu sagen, was noch nicht gesagt ist. Schlichtweg Gioacchino Colombos bester Motor, Giotto Bizzarrinis großartigste Konstruktion und Enzo Ferraris Meisterstück. Und die ungewöhnliche Farbe? Das ist die Hausfarbe des U.D.T. Laystall Racing Team, 1957 von Ken Gregory und Alfred Moss, dem Vater von Stirling, gegründet und seit 1962 unter der Schirmherrschaft der UDT-Kreditgesellschaft stehend. 5000 Britische Pfund zahlte Laystall für den Ferrari im Jahre 1962, und Innes Ireland holte ihn persönlich in Modena ab. Zwischen den drei „Nasenlöchern“ und der Motorhaube, also direkt unter dem gelben Logo mit dem aufsteigenden, schwarzen Gaul, befindet sich die Abbildung eines Tartans. Das ist ein schottisches Webmuster, typisch für Kilts und typisch für Innes Irelands schottischen Nationalstolz. Am Ende der Saison 1962 verkaufte der Rennstall den pastelligen Ferrari mit 500 Pfund Gewinn; er ging durch mehrere Hände und bestritt unterschiedliche Rennen – unter anderem fuhr ihn der Österreicher Gunther Philipp in neuer Lackierung bei GT-Rennen rund um Wien und gewann 1963 die österreichische Staatsmeisterschaft.
Der citroënistische Drang
Kyosho hat vieles anders gemacht als CMC. Kyosho hat alles schön gemacht, vom 60°-V12 unter der Haube über die Borrani-Zentralverschluss-Speichenräder bis zu den verchromten Auspuffendrohren. Im Modell finden sich viele liebevolle Details, manche um ihrer selbst willen, und generell steckt im Ferrari professionelle Modellbaukunst en gros und en détail. Fünf Teile gehen auf, die Türen, die Hauben und der Tankklappenverschluss, das Modell federt, die Stellung der Vorderräder korrespondiert mit der Lenkradbewegung, aber die Vorderräder haben den citroënistischen Drang, selbständig in die Geradeausstellung zurückkehren zu wollen. Nicht ganz verstehen wir, warum die Drahtspeichenfelgen silbern lackiert und nicht verchromt sind, aber das hat wohl mit dem Momentanzustand zu tun, den Kyosho nachbildet (originales oder restauriertes Fahrzeug, aktuell sind die Felgen am 1:echt-GTO von McCaw verchromt).
Letztlich wäre der Kyosho-GTO ein High-Ender, dem man nichts hinzuwünschen könnte. Gäbe es den CMC nicht. Würden wir ihn nicht kennen. Aber es gibt ihn und wir kennen ihn. Es gibt diesen Satz: Das Bessere ist des Guten Feind. Lasst ihn uns abwandeln: Das Perfekte ist des sehr Guten Feind. Aber dann kommt wieder einer und sagt, womöglich zu recht: Im Detail perfekt mag der CMC ja sein, aber formal ist der Kyosho besser. Es ist schwierig und es bleibt schwierig mit diesem Ferrari 250 GTO in 1:18.
afs




Modellfotos: bat






Foto: Dave Friedman oder unbekannter Fotograf – via Wikimedia Commons

Foto: Motohide Miwa

Foto: unbekannter Fotograf, entnommen einer Stickerserie der italienischen Zeitschrift Campioni dello Sport 1966/67 (Sticker Nr. 80) via Wikimedia
Steckbrief:
Kyosho KS08438C Ferrari 250 GTO Tourist Trophy Goodwood 1962. Fertigmodell Zinkdruckguss, Maßstab 1:18. UVP des Importeurs Minichamps 419,95 Euro.