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News 1:18 Norev Mercedes 350 SEL W116 1976 Kanzlerwagen Helmut Schmidt

Ein Mercedes in „Schmidt-Grau“

Alle tragen schwarz. Einer trägt grauen Flanell. Alle Kanzlerautos sind schwarz. Eines ist hellgrau, der 1976er Mercedes 350 SEL W116 von Helmut Schmidt. Norev erinnert an die ungewöhnlich lackierte Kanzlerlimousine mit einem auf 300 Exemplare limitierten Achtzehner.

Der Bundeskanzler ist nicht das Staatsoberhaupt. Er ist der zweite Mann im Staate, der Bundespräsident ist über ihm angesiedelt. Dennoch sollte man meinen, dass ein Kanzler den feinsten und größten aller Mercedesse fährt (in Zeiten, als Kanzler noch keine VW oder Audi oder BMW fuhren). Denn es geht nicht nur um seine eigene Befindlichkeit, sondern auch um sein Ansehen im Volk. Und genau deshalb fuhr Bundeskanzler Helmut Schmidt offenbar keinen Mercedes 450 SEL 6.9 als Dienstwagen, und auch nicht in staatstragendem Schwarz, sondern einen 350 SEL in hellem Unigrau. Da war er also ein vorbildlicher Sozialdemokrat. Sein ebenfalls sozialdemokratischer Vorgänger Brandt sah das nicht so, er votierte für einen 300 SEL 6.3 W109. Und auch Schmidts Nachfolger Helmut Kohl genoss die Annehmlichkeiten des Topmodells, eines 500 SEL W126. Aber Kohl war ja auch kein Sozialdemokrat.

Vor 20 Jahren brachte Minichamps eine schöne Serie heraus, die Kanzlerwagen in 1:43. Die verantwortete damals Sascha Voss. Heute ist er bei Norev, und ein Schmidt-Verehrer ist er auch. Also lag nahe, zumindest in einer limitierten Auflage einen Schmidt-Mercedes von Norev zu initiieren, 300 Exemplare, exklusiv im Norev-Onlineshop zu haben. Der Norev-W116 ist ein 450 SEL 6.9, das ist bekannt. Und dessen ursprünglich aus dem 600er stammende Motor (Typ OM100) ist eine andere Konstruktion und sieht anders aus als der M116 aus dem 350er, der mit dem 450er-Motor eng verwandt ist (Graugussblock, Zylinderköpfe und Ölwanne aus Alu, der 3,5-Liter mit 200 PS). Das weiß Norev auch, aber manchmal muss man Fünfe auch gerade sein lassen – vor allem bei einer 300er-Auflage. Zumindest außen und im Inneren stimmt alles, ist der 350 SEL echt schmidtig: Er trägt das vorbildgerechte Kennzeichen 0 – 2, zwei Stander mit bundesdeutscher und französischer Flagge und zwei Zusatzantennen auf den hinteren Kotflügeln, obendrein ein D-Schild. Trotz 350 SEL gönnte das Finanzministerium dem Kanzler einen Satz Barock-Alus, sodass Norev hier nicht schummeln musste. Glück hat Norev auch damit, dass Schmidt keine gepanzerte „Guard“-Limousine fuhr, die in Details anders als die Serienfahrzeuge aussieht (zum Beispiel kein Dreiecksfenster in den hinteren Türen), trotzdem seine Kanzlerschaft jene war, in der im „Deutschen Herbst“ 1977 die meisten Terroranschläge auf Politiker erfolgten.

Giscard d’Estaing zu Besuch in Bonn

Die deutsche und die französische Flagge bedeuten, dass der damalige französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing zu Besuch in Bonn war. Die beiden Politiker verband, wie man weiß, mehr als Kollegialität, fast schon eine Männerfreundschaft, ein deutsch-französisches Tandem. Unter ihnen ging es weniger um jeweilige Hegemonieansprüche beider Staaten, sondern um die Grundlagen des vereinten Europas (Europäischer Rat 1974, erster Weltwirtschaftsgipfel 1975, Europäisches Währungssystem 1978/79 mit festen Wechselkursen unter den Währungen, erste Direktwahl zum Europaparlament 1979). Obendrein ist es für einen französischen Hersteller wie Norev natürlich klar, dass an einem deutschen Kanzlerwagen neben der deutschen nur und ausschließlich die Trikolore wehen darf und schon gar nicht der Union Jack.

Die Farbe: hellgrau, kein Metalliclack. Warum das? Warum nicht schwarz, wie sonstige Staatslimousinen, wie die Fahrzeuge der Minister? Sascha Voss hatte zu Minichamps-Zeiten, als die Kanzler-Serie erschien, Kontakt zu einem der ehemaligen Fahrer Helmut Schmidts. Dieser erzählte, die Farbe sei ein konkreter Wunsch Schmidts gewesen und stellte auch Privatfotos zur Verfügung. Es habe sich um keinen Farbton aus der Daimler-Benz-Farbpalette gehandelt, und Minichamps-intern wurde vom „Schmidt-Grau“ gesprochen. Diesen netten Duktus übernahm Norev nun, auch in deren Annonce ist vom „Schmidt-Grau“ die Rede. Wir übernehmen diese Bezeichnung gerne.

Nicht nur wegen der beiden Stander sticht das Modell also aus der Menge bisheriger Norev-W116er heraus, sondern auch wegen des „Schmidt-Graus“. Eine Unifarbe an einer S-Klasse erscheint uns heute fast undenkbar, war aber zu W116-Zeiten überhaupt nicht ungewöhnlich. Gerade die einfacheren 280 S und SE wurden häufig in Unifarben geordert, sogar recht bunt – der Mode der Zeit entsprechend. Der Chrom hebt sich erstaunlich gut vom Grau ab, der Wagen wirkt elegant und außergewöhnlich. Innenraum schwarz. Die Machart ist hinlänglich bekannt von all den Sechs-Neunern, die Norev bereits lanciert hat.

Schmidts private Autos

Helmut Schmidt hat, wie jeder Mensch, eine automobile Vergangenheit. Sie ist halbwegs bekannt, wenn auch kaum mit Fotos belegt. Er begann in früher Nachkriegszeit mit einem gebrauchten Käfer, dann 1953 ein Zweithand-Mercedes 170 Diesel, 1955 als Neuwagen ein Ford Taunus 15m Deluxe… Insgesamt sind 14 Privatwagen von Helmut und Loki Schmidt überliefert, ab den späten 70er Jahren bevorzugt Kombis. Helmut Schmidt besaß ab 1977 auch einen Führerschein für Yachten, Binnenfahrt A. Dienstlich fuhr Schmidt hauptsächlich Mercedes-Limousinen mit Chauffeur, zu den ehemaligen Fahrern zählen Hans-Peter Lambertz und Albert Giersberg.

Eines der letzten Schmidt-Autos, vielleicht sogar das definitiv letzte, ist ein Opel Kadett E GSi, Erstzulassung auf ihn am 15. September 1991 mit dem Kennzeichen HH-SH 259, erworben beim Hamburger Opel-Händler Albert Lauße & Söhne, der seit Ende 2023 zur Dello-Gruppe gehört. Diesen Kadett fuhr er bis Februar 1996. Der dritte Eigentümer bot das Auto mit prominentem Erstbesitz schließlich Opel an, und so ist der Schmidt’sche Kadett nun im Besitz von Opel-Classic, heute zugelassen mit GG-Kennzeichen (denn alle Rüsselsheimer tragen Kennzeichen aus Groß-Gerau). Der Wagen mit rund 110.000 km auf der Uhr ist in hervorragendem Zustand und wird ab und zu anlässlich von Classic-Events bewegt.

afs

Hellgrau statt Schwarz, Schmidt-Grau statt Kanzler-Schwarz: Helmut Schmidt votierte für eine ungewöhnliche Farbe für seinen staatstragenden Dienstwagen und setzte auch nicht auf die Topmotorisierung. Jedoch ist überliefert, dass er den 350 SEL gerne selbst fuhr. Und Schmidt war kein Schmidtchen Schleicher. Im Gegenteil: Wenn er aufs Gaspedal drückte, ging der W116 ab wie Schmidts Katze.
Modellfotos: bat
In 1:43 gibt es den Dienstwagen Helmut Schmidts schon seit fast 20 Jahren. Im September 2005 erschien Schmidts 350 SEL mit Kanzlerfigürchen von Minichamps im Rahmen der Serie „Kanzlerwagen“, deren Erstling Willy Brandts 300 SEL 6.3 im Januar 2005 war. Es folgten noch Kohls 500 SEL W126, Adenauers 300er und Schröders VW Phaeton. In 1:87 wurde Schmidts W116 als Wiking-Sondermodell vom Sammlerkontor in Auftrag gegeben.
Die Reiselimousine des Bundeskanzlers: Helmut Schmidt fuhr einen der wenigen 350 SEL. Er ist deutlich seltener als der 450 SEL 6,9: Vom langen 350er wurden 4266 Exemplare gebaut, vom Sechs-Neuner 7380. Überhaupt ist der 350 SEL die seltenste aller W116-Versionen.
Foto: privat/Archiv afs
Mitte der 70er fuhr Helmut Schmidt einen Opel Rekord D in L-Version. Anlässlich der Anschnallkampagne 1977 ließ er sich in seinem Privatwagen fotografieren.
Foto: Archiv afs
Helmut Schmidts Kadett GSi von 1991, heute in hervorragendem Pflegezustand im Besitz von Opel-Classic.
Foto: Opel Classic
Hinter diesem Steuer saß Helmut Schmidt und war Herr über fetzige 115 PS im leichtfüßigen Kadett. Ob er als 75jähriger mit seinem GSi herumräuberte wie ein Junger, ist nicht überliefert. Aber angeblich soll er gerne schnell gefahren sein.
Foto: Opel Classic

Steckbrief:

Norev 183973 Mercedes 350 SEL W116 „Bundeskanzler Helmut Schmidt“. Fertigmodell Zinkdruckguss, Maßstab 1:18. Auflage 300 Exemplare. UVP 99,90 Euro.