Über den eigenen Schatten gesprungen
Die Dänen sind nicht als Militaristen bekannt, Tekno nicht als Hersteller von Militärspielzeug. Und doch gab es den Honest John, den Raketentransporter mit Abschussrampe. Und nicht nur von Tekno gab es ihn. Eine Hongkong-Firma fertigte eine jämmerliche und billige Kopie davon. Wir betrachten die beiden, ein Caramini-Beitrag generiert sich in mattem Oliv. Damit es nicht zu viel Mattoliv wird, spendiert eine Feuerwehr-Drehleiter etwas Rot.
Spätestens seit Mitte der 70er Jahre war Militärspielzeug in gewissen Ländern und dort in gewissen Kreisen sehr umstritten. Zu diesen Gewissen gehörte auch Westdeutschland. Die Existenzberechtigung der Armee wurde infrage gestellt, und wer dies tat, lehnte auch ab, dass Kinder mit „Kriegsspielzeug“ spielten. Gleichzeitig schnellten die Preise für antiquarisches Militärspielzeug aus den 30er Jahren in schwindelnde Höhen. Die internationalen Spielzeughersteller gingen relativ nonchalant mit dem Thema um, vor allem jene aus Ländern, in denen das Militär unverfänglich und als selbstverständlicher Bestandteil der Nation gesehen wurde. Dinky Toys, egal ob das britische Mutterhaus oder die französische Filiale, machte ebenso olivfarbene Lastwagen, Panzer und Kanonen wie Solido oder Corgi Toys. In sehr pazifistisch eingestellten Ländern wie Westdeutschland oder Skandinavien behalf man sich anderweitig. Generell unverfänglich war es, einen amerikanischen Militärjeep im Programm zu haben. Denn der verkörperte das Gute, Edle und Schöne, obendrein die Befreiung von allem Übel. Und dann gab es noch die Möglichkeit, zivile Miniaturen olivfarben zu lackieren und ihnen das schwarze, stilisierte Tatzenkreuz auf weißem Grund, das Hoheitszeichen der Bundeswehr, auf die Türen zu kleben. Dann hatte man ein Bundeswehrfahrzeug, aber eben kein dezidiert militärisches, sondern einen Kommandeurswagen oder einen VW Bulli als Truppentransporter. So machte man es jedem recht und sich selber leicht.
Die Skandinavier sind ziemlich unmilitärisch gewesen. Norwegen und Dänemark sind seit 1949 NATO-Mitglied, Schweden und Finnland sahen sich als neutrale Staaten, die Finnen wollten es sich mit ihrem Nachbarn angesichts einer 1340 Kilometer langen Grenze zur Sowjetunion nicht verscherzen. Das ist heute alles ganz anders, auch Schweden und Finnland sind aufgrund der aktuellen Sicherheitslage (oder vielmehr: Unsicherheitslage) mittlerweile dem NATO-Bündnis beigetreten. Dass aber Tekno in den 50er und 60er Jahren Militärmodelle machte, war eigentlich nicht zu erwarten gewesen. Der bereits zitierte Jeep passte ins Tekno-Konzept, es gab ihn mit dem amerikanischen „Army Star“, dem weißen Stern auf dem mattolivfarbenen Lack. Genauso wichtig war der Jeep für Tekno aber auch als weißes Fahrzeug der UN oder als Feuerwehr-Jeep. Was überhaupt nicht ins Konzept passte, aber dennoch vorhanden war, ist der Honest John.
Suche nach Varianten führte zum Raketenfahrzeug
Tekno arbeitete gerne mit Varianten, vor allem im Nutzfahrzeugbereich. Legendär sind all die Werbeversionen des Volkswagen T1b Transporters, aber auch die unterschiedlichen Aufbauten auf Basis des gleichen Lastwagen-Grundtyps. Das ist legitim, effizient und klug. Ein klassisches Feuerwehrfahrzeug, eine Drehleiter, lässt keine Varianten zu – sofern Fahrerhaus und Aufbau aus einem Guss sind. Aber ein Spielzeugautohersteller braucht ein „Feuerwehrauto“, das wünschen die Kinder. Der Modellkonstrukteur (heute sagt man Product Manager) des Scania-Vabis-Modells ist Eric Spon, bei der Konstruktion der Leiter und deren Funktion ließ er sich von Dinky Toys inspirieren, Tekno-Nummer 445 im Maßstab 1:50, ab 1959 im Programm, war ein Bestseller, und heute ist das Modell antiquarisch zwar gesucht, aber häufig zu finden und nicht sonderlich teuer. Bis 1972, dem Aus der ursprünglichen Firma Tekno, war es im Programm und wurde nie geändert. Lediglich die Vorbildbezeichnung wurde dem Vorbild angepasst, vom Scania-Vabis 75 über den 76 zum 110, und zuletzt war es ein Scania 110, ohne „Vabis“. Die Türbeschriftung variierte auch, es gab das Scania-Vabis-Logo ebenso wie „Falck-Zonen“ oder nur „Falck“. Zwei eher seltene Werbemodelle sind bekannt. Auf dem einen steht an der Tür „Släck Törsten“, ein schwedischer Saftherhersteller. Das andere wirbt mit einem Decal auf der Motorhaube für Nordic Diesel Burwain. Ganz zum Schluss wurden der Griff zum Anheben der Leiter und das Zahnrad aus Kunststoff statt Metall gefertigt, aus Kostengründen – aber bevor sich die Kinder über die nunmehr mangelnde Lebensdauer beschweren konnten, war Tekno Bankrott.
Tekno kam auf die gute Idee, den Feuerwehr-Leiterwagen zweitverwenden zu können, indem ein anderer Aufbau benutzt wird. Die Leiterkonsole blieb bestehen, statt der eigentlichen Leiter wurde eine Raketenabschussrampe mit Funktion konstruiert. Und natürlich eine Rakete, die Honest John. Tekno Nummer 870 war geboren, im Programm von 1961 bis 1969. Damals wurde Tekno an Algrema in Hjørring verkauft und etliche Produkte wurden eingestellt, blieben aber aufgrund großer Vorräte im Angebot. Der „ehrbare Hans“ ist auch in den letzten Tekno-Katalogen 1970 und 1971 aufgeführt, aber das war wohl der Abverkauf von Lagerbeständen. Natürlich reine Phantasie – der Honest John war eine amerikanische Rakete und wurde auf einem amerikanischen Trägerfahrzeug transportiert. Aber Tekno fertigte eben Spielzeug. Die schwedischen Jungs waren begeistert. Exportiert wurde der Honest John auch, aber nicht offensiv. In Länder, in denen Militärspielzeug in der Kritik stand, kam er nicht. Den Honest John gab es nur in militärischem Oliv, aber es existiert eine matte und eine glänzende Version.
Neu war also die Startrampe, oder besser: die Startschiene. Sie ist aus Blech gefertigt und beherbergt den Mechanismus, um die Rakete zu starten. Die Rakete (es gab sie einzeln zu kaufen, denn sie ging logischerweise häufig verloren) ist aus Hartplastik, zweifarbig weiß-rot, und in die Spitze konnten kleine Sprengkapseln gesteckt werden, sodass es knallte, wenn die Rakete auf die Erde aufschlug. Der Honest John ist seltener als das Feuerwehrauto, aber auch nicht wirklich rar. Selten allerdings ist die Rakete, die antiquarisch teilweise mehr kostet als ein raketenloser, ansonsten guter Scania. Mittlerweile gibt es in Dänemark eine gut gemachte 3D-Nachfertigung, aber mit Porto kostet sie an die 50 Euro. Auch den militärischen Scania-Vabis gibt es mit zwei Typbezeichnungen, Scania-Vabis 75 und 76. Ein 110 existiert nicht, denn als die Feuerwehrversion diesen Evolutionsschritt machte, war der Honest John schon außer Produktion.
Auch in Westdeutschland stationiert
Die Rakete namens MGR-1 Honest John war eine atomwaffenfähige Kurzstreckenrakete, in Gebrauch 1954 bis 1982, ungelenkt, drallstabilisert. Sie war ab 1959 in nahezu allen NATO-Staaten, auch in der Bundesrepublik Deutschland, stationiert, und auch hier gab es nukleare Gefechtsköpfe, welche die deutschen Raketenartilleriebataillone im Falle eines Atomkriegs mit ihren Honest John hätten abschließen können (unter Hoheit und Gewahrsam der USA). Die Trägerfahrzeuge waren stets amerikanische Militärlastwagen unterschiedlichen Typs – natürlich nie ein Scania-Vabis! Und Schweden, wo der Scania-Vabis beheimatet ist, war damals kein NATO-Mitglied, Dänemark, woher Tekno kam, allerdings schon.
Dreiste Kopie aus Hongkong
Sowohl die Leiterfunktion des Feuerwehrautos als auch die Abschussfunktion der Rakete sind ziemlich ingeniös. Tekno hatte ein spannendes Spielzeug geschaffen. Das weckte die Begierde der „Copycats“ aus Hongkong. Sie kopierten illegal, versteckten sich hinter fiktiven Markennamen, die sich nicht nachverfolgen ließen, und verwehrten so den etablierten Spielzeugherstellern, ihr „Copyright“ einzufordern. Gegen die Hongkong-Industrie waren die westlichen Spielzeughersteller machtlos, sie mussten sie gewähren lassen. Hauptsächliches Exportland für Billigspielzeug aus der britischen Kronkolonie Hongkong war Großbritannien selber – denn der Zugang zum britischen Markt wurde von der britischen Regierung steuerlich subventioniert. In Hongkong gab es immens viele kunststoffverarbeitende Betriebe. Und in GB gab es immens viele Importfirmen, die aus den Kronkolonien Waren ins Land holten. Diese Handelsgesellschaften hatten Repräsentanten vor Ort in Hongkong, die mit den Fabriken verhandelten und in regelmäßigen Abständen nach England kamen, um Bericht zu erstatten und neue Aufträge entgegenzunehmen. Sie erhielten in London ein Köfferchen voller aktueller Spielzeugautos von Dinky Toys, Corgi Toys, Matchbox oder – im konkreten Falle – eben auch ein Tekno-Modell in die Hand gedrückt, von denen die Importeure wussten, dass sie Bestseller waren. Die Hongkong-Chinesen bekamen den Auftrag, diese Modelle nachzumachen, aus Plastik, meist in etwas größerem Maßstab und oftmals mit Schwungradantrieb. Die Importeure wollten also vom Erfolg der britischen Spielzeugautoindustrie profitieren, ohne in Eigenentwicklungen zu investieren. Es waren nicht die Hongkong-Fabriken, die aus eigenem Antrieb frech kopierten. Die Dreistigkeit lag bei den britischen Auftraggebern, den Importeuren. Deshalb wurden auch die Herstellerfirmen verschleiert. Unser Hongkong-Modell firmiert unter M-Toys. Das sagt alles und nichts. Niemand weiß, wer hinter M-Toys steckt. Es ist letztlich auch gleichgültig.
Das Modell ist nichts als billig! Dünnes, halbweiches Plastik, einteilige Rad-Achsen-Kombination, die nur eiernde Fortbewegung zulässt, eine „Funktion“, die ihre Arbeit schon einstellt, wenn man das Ding scharf anschaut, billigstes Granulat, eine elende Rakete. Es kann kein sonderlicher Erfolg gewesen sein. Sonst gäbe es mehr davon. Man kann es nicht mal als Kopie bezeichnen, denn wenn es eine solche wäre, so würde es zumindest versuchen, die Qualität des Originales ansatzweise einzufangen. Kleiner als das Original ist es obendrein. Es ist nichts als armselig. – Nein, schön ist dieses Spielzeugauto nicht. Aber interessant ist es! Ich habe es nur einmal gesehen und glücklicherweise gekauft. Und dann auch noch im Neuzustand mit Schachtel!
Ein paar handschriftliche Beschriftungen auf der Schachtel geben ein wenig Klarheit über die Herkunft, die Produktionszeit und den Verkaufspreis. „4/6“, was verkürzt für „4s 6d“ steht, bedeutet, das Spielzeug kostete 4 Shilling und 6 Pence, was damals rund 75 Deutsche Pfennige waren, also sehr, sehr billig. Wann war „damals“? Auch darüber gibt eine Inschrift Auskunft, die wohl der erste (kleine) Besitzer auf die Schachtel kritzelte: Er erhielt den Honest John im August 1968 in einem Geschäft in der Londoner U-Bahn-Station Leyton. Irgendwie muss die Miniatur dann nach Dänemark gekommen sein, denn von dort ließ ich sie mir vor zehn Jahren schicken. Von Hongkong über London und Dänemark in den Südwesten Deutschlands. Viel gereist also, der Honest John!
afs


Modellfotos: bat







Foto: Archiv der Königlichen Niederländischen Armee