Die Jetztzeit-Interpretation
Eines der berühmtesten Autos der Welt, ein im Werk gebautes Einzelstück auf Basis des Lamborghini Miura, Star des Mangas The Circuit Wolf: AUTOart macht den Miura SVR von Heinz Steber. Wir kennen ihn bereits von Kyosho, aber AUTOart interpretiert eine andere Daseinsform des Fahrzeugs.

“Nicht ein Jota” ist eine Redewendung als Umschreibung für sehr wenig, für ein bisschen, für eine geringe Menge. Wenn ein für ein fehlerhaftes Modellauto gescholtener Hersteller dieses in unveränderter Ausführung in einer anderen Farbe erneut bringt, hat er es um kein Jota verbessert. Im Rennsport gibt es auch das Jota, nämlich den Anhang J (oder: Anhang Jota) der FIA-Regeln. Darin sind alle technischen und sicherheitstechnischen Bestimmungen für den Automotorsport definiert. Wenn also ein Fahrzeug für den Rennsport homologiert wird, muss es den Erfordernissen des Anhangs Jota entsprechen. So und deswegen kam es zum Lamborghini Miura Jota, einem Einzelstück des Werkes mit Chassisnummer 5084 und Motornummer 30744. Der Lambo-Testfahrer Bob Wallace baute ihn 1970 aus einem Miura SVJ. Optisch gab es kaum Unterscheidungsmerkmale, im Layout hingegen ganz viele: vernietete Alu- statt Blechkarosserieteile, viel Alu auch am Chassis, seitliche Plexiglasscheiben, Megaphon-Auspuffendrohre, ultrabreite Reifen auf Campagnolo-Alus, zwei 60-Liter-Tanks in den Türen statt Tank im Bug, andere gewichtsreduzierende Maßnahmen (Plexiglas-Bremsen, Innenraum leer geräumt), entsprechendes Fahrwerk und eine modifizierte Karosserie mit Frontspoiler und breiteren Kotflügeln. Der Jota wog circa 900 anstelle der serienmäßigen 1300 Kilo, sein 3,9-Liter-V12 leistete zwischen 404 und 440 PS und hatte Trockensumpfschmierung. Der originale Jota existiert nicht mehr, der guter Lambo-Kunde und Millionär Alfredo Belphone hatte ihn 1972 zu Schrott gefahren.
Kunden wollten einen Jota kaufen, Ferruccio Lamborghini verweigerte ihnen dies, doch schließlich wurden fünf SVJ gebaut, die dem Jota glichen. Käufer: der Schah von Persien, ein Immobilienentwickler in Paris und auf Korsika, ein Hotelier auf Haiti und ein vierter Unbekannter; der fünfte war der temporäre Lamborghini-Eigentümer Jean-Claude Mimran, der sich im Werk in den 80ern auf Basis eines Gebraucht-Miura den fünften Jota bauen ließ. Weitere Fahrzeuge wurden von externen Spezialisten zum SVJ modifiziert. Aber diese Fahrzeuge sind nicht offiziell.
Gerade deshalb, weil in der Lamborghini-Geschichte so manches unklar und unrecherchierbar ist, gab es in der Vergangenheit so manchen SVR, der nicht als solcher zur Welt kam, und es gibt, trotzdem das originale Einzelstück im Autohimmel weilt, heute mehr Jotas denn je. Viele sind orangefarben lackiert, viele haben japanische Kennzeichen. Trotzdem es Register aller Miura gibt, ist noch lange nicht jeder Miura „bis aufs kleinste Jota“ recherchiert, denn die Autos veränderten sich im Laufe der Zeit in unterschiedlichen Händen – und manche Hände sind extrovertiert, andere wiederum stellen den Wagen in die Garage und genießen ihn im kleinsten Kreis.
Stebers Fahr-Traum und Itos Sammler-Traum
Und dann gibt es noch den SVR des Musikers und Autofans Heinz Steber, 1968 gebaut und 1974 von Steber aus achter (!) Hand erstanden, sehr jota-artig, heute noch am Leben, und auch dieses Auto existiert in mehreren Daseinsphasen. Bekannt ist es als Kyosho-Metallmodell, 2001 erstmals erschienen, mehrmals veränderte Neuauflagen, zuletzt 2023. Und dieser Wagen, jedoch in seinem heutigen Zustand, ist die Basis für die AUTOart-Neuheit. Heinz Steber ließ seinen gebrauchten Miura in Sant’Agata Bolognese modifizieren und perfektionieren: dreiteilige BBS-Felgen, Koni-Renndämpfer, Rennkupplung von Fichtel & Sachs, Girling-Bremsanlage aus dem Porsche 917, Recaros, Sechspunktgurte und natürlich die nagelneu am Markt befindlichen Pirelli-P7-Schlappen, vorne 225/50 VR 15 und hinten 345/35 VR 15 und ein paar Goodies mehr. Optik: Neben den Rädern verbreiterte Fronthaube mit Spoiler, geänderte Luftführung, fest stehende Scheinwerfer mit Plexiglas-Abdeckung, verbreiterte Heckhaube, offen auch von hinten zum Motor hin, breitere Schweller mit Kühlöffnung für die Bremsen, Heckspoiler. Im Spätsommer 1975 war Stebers zum SVR gewordener und am Jota orientierter Miura fertig. Er fuhr ihn gerne mit Mailänder Kennzeichen, denn einen deutschen TÜV bekam er nicht. So tauschte er den Wagen 1976 gegen einen in Deutschland zulassungsfähigen Countach und verkaufte ihn nach Japan. Dort erlebte der Wagen mehrere Aggregatzustände, zeitweise sogar mit goldfarbenem Interieur, diente als Vorbild für den berühmten Manga „The Circuit Wolf“ und wurde in Folge von diversen japanischen Plastikbausatz-Herstellern miniaturisiert. Heute, in den Händen des Sammlers Hiromitsu Ito, ist er wieder weitgehend in jenem Zustand, in dem er zu Stebers Zeiten war, restauriert 2018 im Lamborghini-eigenen Polo Storico. Und diesen heutigen Ist-Zustand nahm sich AUTOart zum Vorbild für sein Modell. Der AUTOart deckt sich also nicht mit dem Kyosho.
Fix bleibt nur das Passagierabteil
Beide decken sich auch nicht in der Machart, Kyosho ist Kyosho und Diecast, AUTOart ist AUTOart und Kunststoff. Das einzige, was sich bei beiden halbwegs deckt, ist der Neupreis (wobei die Aufrufungspreise für gebrauchte Kyoshos heute sehr variieren!). Das AUTOart-Modell besticht zunächst durch das, was den Miura ausmacht: seine Form, seine Präsenz und die Tatsache, dass bei einem all-open-Modell nahezu die komplette Karosserie beweglich ist. Das einzige, was für immer fix bleibt, ist das Passagierabteil, und herrlich ist natürlich, dass der nach hinten abklappbare Karosserieteil (vulgo die Motorabdeckung) ihrerseits einen Kofferraumdeckel aufweist, der natürlich auch aufgeht.
Die dreiteiligen BBS-Felgen mit goldenem Inlett und dem dreiflügeligen Zentralverschluss sowie die Reifen mit „Avon“-Flankenbeschriftung sind eine Schau, und besonders die hinteren erinnern in ihrer Tiefe an eine Waschmaschinentrommel. Das offene Heck ist dermaßen brachial, dass aktuelle Diffusor-Lösungen wie billige Kompromisse wirken. Der Flügel auf dem Dach muss sein. Er wirkt wie nachträglich aufgepflanzt, und er ist ein unerwünschtes Geschenk des Hauses Lamborghini an Steber, das aus Höflichkeitsgründen nicht zurückgewiesen werden konnte. Die Fronthaube besticht durch die komplett geänderten Durchströmungsschächte. Die eher konventionellen Scheinwerfer gestaltete AUTOart mit viel Tiefe und einer absolut passgenauen Plexiglasabdeckung, und der schwarze Frontspoiler „spoilt“ die Linienführung gar nicht so sehr, wie er es seinem Namen nach müsste. Er wirkt nur fremdartig, weil man den Miura spoilerlos vor dem geistigen Auge hat. Mit der beim Kyosho zu öffnenden Tankklappe in der Fronthaube kann AUTOart nicht aufwarten, darunter der riesige 120-Liter-Benzintank und vor diesem eine knallrote Fanfare. Innen unterscheidet sich der SVR von den „biederen“ Miuras vor allem durch die Recaros und die gelben Sechspunkt-Autofluggurte mit Fotoätzschnallen. Der Boden ist beflockt, selbst das Fußbänkchen im Beifahrerfußraum ist vorhanden. Der Kyosho trägt eine Dachantenne, der Wagen im heutigen Zustand nicht. Der Motor ist ein modellbauerisches Gedicht, und gerne hätten wir aus rein dekorativen Gründen diesen 1:18-Rennmotor einzeln, womöglich in einen Acrylblock gegossen. Eingebettet in ein Rahmengewirr, voll verkabelt und quasi in einer Einheit mit der Rennauspuffanlage, ist alleine dieses Motorwunder den Kauf des Modellautos wert.
Die Kardinalfrage lautet: Braucht den AUTOart-Miura, wer das Steber-Auto von Kyosho bereits hat? Ganz klar, wer Miura-Fetischist ist, braucht jeden guten Miura. Aber das AUTOart-Modell ist in vielerlei Hinsicht anders als die Kyosho-Interpretation – nicht nur, weil es einen chronologisch anderen Zustand wiedergibt. Ein Kyosho-Modell ist old school, ist aus Metall, hat Spaltmaße, ist dafür schwer und stabil. Ein AUTOart-Modell ist new school, aus Kunststoff, viel präziser, aber eben auch viel fragiler. Im Beipackzettel warnt AUTOart, das Lenkrad nicht zu grob anzufassen, wenn die Vorderräder eingeschlagen werden sollen. Eine solche Warnung würde es bei Kyosho nie geben und braucht es auch nicht.
afs




Modellfotos: Hans-Joachim Gilbert




Foto: 147twinspark
Steckbrief:
AUTOart 79171 Lamborghini Miura SVR „Jota“ (Bertone). Fertigmodell Kunststoff, Maßstab 1:18. UVP 308,95 Euro.