万歳!Ein japanisches Muscle Car
Was den Amerikanern ihr Challenger, Camaro, Olds-442, Pontiac GTO, Boss-Mustang oder Plymouth Roadrunner ist, reduziert sich bei den Japanern auf einen Typ, den Nissan GT-R. Aber der mit Karacho! Die Japaner verehren ihr nationales Muscle Car fast so sehr wie ihren Kaiser. AUTOart bringt einen herrlichen getunten GT-R von 1973.

Der Nissan Skyline hat einen Migrationshintergrund. Und nie bemühte er sich restlos um Integration in sein neues Umfeld. Im Gegenteil – ließ ihm dieses sogar die völlige Freiheit, sich auf seine kulturelle Herkunft zu konzentrieren. Kryptisch? Eigentlich gar nicht. Der Skyline kam als Produkt der Prince Motor Company zur Welt. Prince Jidōsha Kōgyō K.K. geht auf einen Flugzeugbauer zurück, der nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg (Japan damals an der Seite der Achsenmächte, also Deutschlands) keine Flugzeuge mehr bauen durfte und deswegen auf Luxuswagen und Nutzfahrzeuge umsattelte. In den 60ern gab es zwei Prince-Modellreihen, den größeren Gloria und den kleineren Skyline.
1967 wurde Prince von Nissan übernommen, Gloria und Skyline wurden in das Nissan-Programm integriert, Prince als Marke starb. Und dennoch lebt Prince weiter, bis heute. Denn die Entwicklungsabteilung der ehemaligen Prince-Modellreihen sind innerhalb des Nissan-Konzerns nach wie vor separat. Außerdem existiert zumindest innerhalb Japans immer noch eine Prince-Verkaufsabteilung. Wer einen Skyline GT-R in seiner Heimat kauft, geht nicht zum Nissan-, sondern zum Prince-Händler. Einen Gloria kann man heute nicht mehr kaufen, der letzte Nissan Gloria starb 2004 – immerhin 37 Jahre nach der Übernahme von Prince durch Nissan. Die Skyline-Baureihe existiert bei Prince seit 1957. In Westdeutschland gab es 1973 den ersten Skyline (den Typ C110 als Datsun 240K-GT; bis 1981 hießen Nissan-Wagen im Export Datsun). Noch heute gibt es den Skyline als Limousine (in den USA als Infiniti), und längst hat sich die Sportversion GT-R von der Limousine völlig emanzipiert (und darf nicht mehr „Skyline“ heißen, nur noch „GT-R“). Die AUTOart-Neuheit ist ein altes GT-R Fastback-Coupé von 1973 (Typ KPGC-110) in getunter Version. In Standard-Version erschien er bereits 2020, nicht viel anders, auch ein Muscle Car, aber mit Stahlfelgen und vorne unbespoilert. Nun mit Watanabe-Alufelgen und gewaltigem Frontspoiler.
GT steht für Gran Turismo und R für Racing. Das ist banal. Banal ist auch, was für biedere Autos so mancher Hersteller mit diesen Buchstaben ausstattet und dabei nur ein paar sportive Extras anbringt. Augenwischerei! Nissan nahm den Inhalt von „GT-R“ ernst. Von Anfang an. Und das begründet die bis heute ungebrochene Begeisterung für alle GT-R-Generationen – in Europa weniger als in Asien, wo der GT-R von Anfang an erhältlich war. In Europa kennt man Nissan (unter dem Namen Datsun) noch nicht so lange, zaghafte Annäherungen in den 70ern, richtig los ging es in den 80ern – aber nicht mit Boliden, sondern mit braven Alltagsautos. In Europa bekannt wurde der GT-R erst mit der Generation R32 ab 1989, und davon leitete sich eine (mäßige) Kenntnis der Ahnen ab. Der 1973er GT-R ist eher unbekannt. In natura gesehen haben ihn wohl die wenigsten.
Skyline mit S20-Motor aus dem 240 Z
Der erste GT-R ist die Sportableitung des ersten Skyline, der nicht mehr als Prince, sondern als Nissan erschien (Typ C10). Da gab es brave 1500er und 1800er für den Alltag und die Sportversion 2000 GT mit 105 PS und einer Spitze von 175 km/h. Von diesem 2000 GT leitete Nissan die Version PGC 10 ab, im Verkauf GT-R genannt und vor allem als Motorsportgerät konzipiert. Ihm spendierte Nissan den S20-Motor mit 1989 cm³, ein DOHC-Reihensechszylinder mit vier Ventilen pro Zylinder, Transistorzündung und 160 PS, für Motorenfans auch ein optischer Leckerbissen. Zunächst drei Weber-Vergaser, sehr bald englische Lucas-Einspritzung. Dazu Fünfganggetriebe und ein aufwendiges Fahrwerk, vorne die üblichen Federbeine, hinten immerhin Einzelradaufhängung an Schräglenkern. Dazu kamen Sperrdifferenzial, Schalensitze, 100-Liter-Tank. 52 Rennsiege in der japanischen Tourenwagen-Meisterschaft, davon 49 in Folge – das ist eine Hausnummer. Das merkt man sich. Das begründet einen Ruf! Dieser Wagen war eine viertürige Stufenhecklimousine in 1945 Exemplaren.
Jetzt ist der Nachfolger da, der zweite GT-R, die Generation KPGC-110 (Design: Shinochiro Sakurai), als Stufenheck-Coupé im Herbst 1972 erschienen, als Fastback-Coupé im Januar 1973, und das Fastback-Coupé in getunter Version ist die AUTOart-Neuheit. Das Coupé begründete die vier runden Rückleuchten, Markenzeichen aller GT-R bis heute und damals ein Epigone der Corvette-Mode, der auch der Opel GT huldigte. Er durfte nie rennen. Die Ölkrise machte ihm den Garaus, denn in ihrer Folge schloss Nissan seine Racing-Abteilung. Damit hatte der GT-R keine Daseinsberechtigung mehr. Im März 1973 war Schluss, nach nur 197 Exemplaren. In Asien ist dieser GT-R heute ein extrem hochpreisiges Sammlerstück. Technisch ist er weitgehend identisch zum Vorgänger (aber schneller, nun 195 km/h). Diese Skyline-Generation, aber natürlich nicht als GT-R, wurde auch nach Westdeutschland importiert, als viertüriger Datsun 240 K-GT mit 113 PS. Geringe Verbreitung, aber immerhin auf den Straßen zu sehen. Daher mag so manchem die Karosserie des GT-R KPGC-110 vertraut erscheinen.
Watanabe-Felgen im Retro-Stil sind heute noch erhältlich
Ihn macht AUTOart in drei Farben als Hardtop-Coupé, Rot, Silber und Weiß. Diejenigen, welche die AUTOart-Machart schätzen, aber mit modernen Supersportwagen nicht warm werden, sondern sportliche Straßenfahrzeuge der 70er lieben, haben nun keine Ausrede mehr. Ein Modellauto feinster Machart, und sogar ziemlich zurückhaltend. Er trägt einen Heckspoiler und ein mattschwarzes Heckblech, er hat auch schwarze Kotflügelverbreiterungen (und AUTOart bildet jede Schraube nach, mit der sie an der Karosserie befestigt sind) und einen tief herab reichenden Frontspoiler. Sein Clou sind die mattschwarzen Watanabe-Felgen im Stile der englischen Rostyle-Felgen. Die gibt es im gleichen Design als „Retro Race Wheel“ heute noch zu kaufen, zwischen 12 und 16 Zoll, direkt beim japanischen Hersteller zwischen 320 und 640 Euro pro gegossenem Aluminiumrad. Watanabe bietet auch geschmiedete Magnesium-Ausführungen an, entsprechend teurer. Als der Skyline neu war, war Watanabe auch neu, gegründet 1967 von Toshiyuki Watanabe, und das traditionelle Achtspeichen-Rad erschien 1968.
Dieses Auto strahlt ein unvergleichliches Flair aus. Ein bisschen amerikanisches Design, dabei europäisch-japanische Abmessungen, ausreichend Chrom, ein Luftwiderstandsbeiwert, der wohl unmessbar hoch ist, ein wenig Asien-Schwulst (vor allem die ausgeprägte Zierkante im hinteren Kotflügel, von der Verbreiterung frech unterbrochen). Ein absolutes Revival (sofern er das je nötig hatte) erlebte der GT-R KPGC-110 in der fünften Folge von The Fast and the Furios. Aber für die Japaner war er zuvor schon Kult, der „Hakosuka“, wie sie ihn liebevoll nennen und was ein unübersetzbares Wortspiel ist. Auf ihm verdienten spätere Profirennfahrer ihre ersten Meriten, als sie noch Privatiers waren, ihn konstruierte Nissan unglaublich leichtfüßig und fahraktiv, mit spielerischem Handling.
AUTOart zog alle Register, das übliche Feuerwerk, das ins Detail geht, wo andere Hersteller Details gar nicht mehr wahrnehmen. Herrlich der nicht verkleidete Kofferraum mit in der Mulde liegendem Reserverad (mit Stahlfelge) plus Wagenheber. Endlich brauchen wir mal keine Haubenlifter bei AUTOart zu loben, denn das gab es damals noch nicht, normale Klappscharniere, wie sie damals jeder Rekord und Ford 20m auch hatte. Ein genial nachgebildetes Motorwunder, Kabel, Kleinteile, Zusatzaggregate, Drucke – mehr kann man nicht wollen. Auch unten eine Freude: die Einzelradaufhängung, die vier Scheibenbremsen, natürlich der separat eingesetzte Motor, also die Nissan-S20-Maschine, der von unten so schön ist wie von oben. Innen die Nachbildung eines Interieurs, wie man es bei einem wohl ausgestatteten 70er-Jahre-Wagen erwartet, in den man einsteigt und sich ohne Studium der Bedienungsanleitung zurecht findet: alles schwarz, keinerlei Holz, tolles Lenkrad, lecker bestücktes Armaturenbrett.
Das ist ein Modellauto, das man vor sich auf den Tisch stellt und davon zu träumen beginnt, wie es wäre, wenn es groß wäre, das eigene wäre, man einsteigen würde und losfahren. Zwar werden eher die Japaner 万歳!rufen, was so viel wie „hurra!“ heißt, aber der GT-R, vor allem ein so früher Jahrgang, ruft auch in Europa etliche Reisschüssel-Enthusiasten auf den Plan – und von diesen mal abgesehen auch solche Sammler, die einen klassisch gezeichneten, großen Fastback-Zweitürer mit ordentlich Pfeffer unterm Ar… einfach lieben. Eben ein Fest für die Sinne!
afs


Modellfotos: Hans-Joachim Gilbert






Fotos: Miki Yoshihito
Steckbrief:
AUTOart 77468 Nissan Skyline GT-R (KPGC-110) tuned Version 1973 rot. Fertigmodell Kunststoff, Maßstab 1:18. UVP 282,95 Euro.