Pflicht und Kür
Er schließt eine Lücke in der Lancia-Sammlung, wenngleich er nicht jener Lancia ist, auf den die Lancisti in 1:18 am dringlichsten warten: Laudoracing macht den Lancia Prisma, die Stufenheckversion des Delta. So viele Deltas bisher in 1:18, und endlich darf sich ein Prisma dazu gesellen.
Seit dem Golf hat sich der Kompaktwagenkäufer an das Golf-Konzept gewöhnt und vermisst den angehängten Kofferraum einer Stufenhecklimousine nicht mehr. Der Jetta wies ihn auf, und unabhängig von seinem heutigen Klassikerstatus war er zeitgenössisch nichts als bieder und spießig („Golf für Kleingärtner“). Und statt Golf könnten wir jedes andere Fahrzeug dieser oder der darunter liegenden Kleinwagenklasse in den Zeugenstand rufen. Besonders krass der Opel Corsa: Der zweitürige Schrägheck-Corsa der ersten Generation war ein keckes und sympathisches Auto, das Limousinchen auf seiner Basis, also der Corsa TR, musste Hohn, Spott und Schmäh über sich ergehen lassen („Schrumpf-Senator für Rentner in Armut“). Und dann war da der Lancia Delta, dessen Stufenheckversion Prisma ebenso spießig, dröge, kleinbürgerlich und brav war wie VW Jetta, Ford Orion oder Renault 19 Chamade. Stimmt das? Und, vor allem, stimmt das überall? Nein!
Kompaktwagen mit Stufenheck hatten nur nördlich und westlich der Alpen dieses Image, in Deutschland, Frankreich, Benelux, Skandinavien, Großbritannien. In Südeuropa und im Rest der Welt sah das ganz anders aus. Und dort verkauften die Hersteller ihre Stufenheckversionen vorwiegend. Sowohl in Südeuropa als auch im Ostblock oder in Lateinamerika wurde ein Kompakter mit Schrägheck nicht als Familienauto akzeptiert, und ein Familienauto musste gezwungenermaßen vier Türen haben. Das galt bereits in Italien. Den zweitürigen Kompakten fuhren junge, sportliche Menschen. Sobald man verheiratet war, wurde aus dem GTI ein GLX, gerne immer noch mit Schrägheck. Aber wenn la Mamma il primo Bambino erwartete, wurde die Schrägheckversion, also der Lancia Delta, zugunsten eines viertürigen Prisma mit Stufenheck in Zahlung gegeben. Somit galt zwar schon, dass der Stufenheckviertürer bürgerlich war, aber ohne negative Konnotation, ohne also spießig zu sein. Er war im positiven Sinne bürgerlich.
Die Hinterachse heißt Camuffo
Mit „Prisma“ bringt der Durchschnittsdeutsche die Fernsehzeitung in Verbindung, die allwöchentlich der Tageszeitung kostenlos beiliegt (also jener, der noch Tageszeitung liest, somit eigentlich nicht mehr der Durchschnittsdeutsche, sondern eher der Bildungsdeutsche). Aber tatsächlich ist ein Prisma ein geometrischer Körper sowie ein optisches Hilfsmittel, um Licht in Spektralfarben zu zerlegen – wobei die beiden ungefähr die gleiche Form haben, und die hat nichts mit jener des Lancia zu tun. Prisma ist einfach ein wohl klingender Name für den Wagen, obendrein international gut auszusprechen und in keiner Kultursprache mit negativer Bedeutung. Lancia verwendete ihn nur ein Mal, der Nachfolger ab 1989 hieß Dedra, obgleich sein Schrägheck-Basismodell den Namen Delta beibehielt. Dem Dedra folgte dann 1999 der Lybra und dem folgte 2005 gar nichts mehr.
Die Besonderheit des Prisma besteht darin, nicht nur ein Delta mit angehängtem Stufenheck zu sein, sondern auch, ebenso wie der Delta, eine spezielle und aufwendige Hinterachse zu haben – die Camuffo-Achse, seit 1972 aus dem Lancia Beta bekannt und nach seinem Konstrukteur Sergio Camuffo benannt: drei voneinander unabhängige Stablenker, MacPherson-Federbein, also eine Mehrlenker-Einzelradaufhängung sehr früher Prägung. Dass diese Konstruktion etwas taugen muss, bewies der Lancia Delta anschaulich, indem er damit sechsmal hintereinander Rallye-Weltmeister wurde. Und auch sonst profitierte der Prisma natürlich vom sportlichen Image des Delta – weswegen es in der Retrospektive fraglich erscheint, ob es klug war, der Delta-Stufenheckversion einen eigenen Namen zu geben. Gleichsam war dies aber nötig, um den Wagen als eigenständiges Modell zu positionieren. Das gelang: Ab Produktionsbeginn war der Prisma der best verkäufliche Lancia (vor dem Delta) mit einer Tagesproduktion von 250 Einheiten, insgesamt immerhin 380.000 Exemplare. Gebaut wurde der Prisma zwischen November 1982 und März 1989, vier Benzin- und ein Dieselmotor, die 115-PS-Zweiliterversion nur mit Allradantrieb. Volumenmodelle waren der 1300er mit 75 und der 1500er mit 85 PS, etwas sportlicher der 1600er mit 100 oder 105 PS, als Einspritzer deren 108. Das Design erledigte, wie beim Delta, Giorgetto Giugiaro. Im Mai 1986 gab es ein kleines Facelift („seconda serie“). Das Laudoracing-Modell stellt die Urversion des letzten Jahrgangs 1985 („Intermedia“) dar, laut Heckschriftzug ein Prisma 1300 in Beige Metalizzato 510, die Farbe der Innenausstattung heißt Marrone.
Viel Liebe zum Detail
In fünf Farben bietet Laudoracing das Modell an, neben Beige Metalizzato auch Grigio Chiaro und Grigio Scuro (also Silber- und Anthrazitmetallic), Azzurro Antibes 827 (Mittelblau Uni) und Azzurro Chiaro Metalizzato 415, also Metallicblau, die Interieurs jeweils passend in Marrone (braun) oder Grigio (grau). Alle Prismas (oder: Prismen?) dieses Jahrgangs 1985 sehen gleich aus. Wer keinen 1300er wünscht, kann dies ändern. Laudoracing legt einen Satz Decals mit Heckschriftzügen bei, sodass je nach Wunsch daraus ein 1500, 1600, Diesel oder Turbo DS entstehen kann. Nette Idee! Pro Farbevariante produziert Laudoracing 350 Exemplare, insgesamt also 1750 Stück.
Das Modell entspricht den Erwartungen, die der Sammler an eine Laudoracing-Miniatur hat, und die sind hoch. Die Kerntugenden erledigt der Hersteller mit Bravour, also die Pflicht (Formenbau, hochwertige Lackierung und Montage). Erwähnenswert ist die Kür, die Kleinigkeiten, das, was unter den Terminus „liebevoll“ fällt. Und da ist Liebe zum Detail: mehrteilige Türgriffe mit Schloss, Parkscheibe oben Mitte an der Windschutzscheibe, erhaben gestaltete Schrift auf den Kennzeichen, was die Prägung nachbildet (also nicht nur ein zweidimensionales Decal), separat eingesetztes Kofferraumschloss, Heizdrähte in der Heckscheibe, gravierter Dachhimmel mit Beleuchtung, Sonnenblenden und Haltegriffen (überdies mattweiß lackiert), zweiteilig gefertigte Fensterkurbeln, sehr schöne Felgen mit Luftventilen, Chromumrandungen um die passgenau eingesetzten Zellonscheiben, vorne orangefarbene Blinkerlampen unter weißem Blinkerglas und dergleichen mehr. Sogar der Boden ist strukturiert, was an Resinemodellen alles andere als selbstverständlich ist.
Mit dem Prisma hat Laudoracing ein hübsches und (vor allem in seiner Heimat) populäres Viertürer-Limousinchen geschaffen, das lange nicht so inspiriert ist wie so mancher Hochkaräter, aber in der Lancia-Sammlung sehr gefehlt hat. Wenn wir nun bloß endlich einen Lancia Gamma, die Limousine ebenso wie das faszinierende Coupé, in 1:18 in die Vitrine stellen dürften…!
afs



Modellfotos: bat





Foto: Charles01
Steckbrief:
Laudoracing LM173D Lancia Prisma 1300 („Intermedia“) 1985 beigemetallic. Fertigmodell Resine, Maßstab 1:18. Auflage 350 Exemplare. Preis direkt bei Laudoracing 115,90 Euro, im Fachhandel etwas teurer.