Ein früher böser Blick
Der „böse Blick“ war eine 90er-Jahre-Tuning-Mode. Als Peugeot den kleinen 104 mit trapezförmigen Scheinwerfern modellpflegte, erhielt er eine Art bösen Blick. Dabei war er ein ganz Lieber und Braver. Nach dem 1977er Modell überarbeitet auch Norev seinen Peugeot 104 und hat einen 1981er daraus gemacht. Mit bösem Blick.
Für Peugeot war der Schritt zum 104 viel größer als beispielsweise für Renault derjenige zum R5. Renault hatte Kleinwagenkompetenz und entwickelte „nur“ einen neuen Kleinwagen. Peugeot hatte dies nicht. Denn vor dem 1972 erschienenen 104 war Peugeot ein Automobilkonzern, dessen Programm in der unteren Mittelklasse anfing, mit dem 204. Und es ging nicht nur um die Kompetenz im Kleinwagenbau, die sich Peugeot erst aneignen musste. Es ging auch ums Markenimage. Peugeot war, wie beispielsweise Daimler-Benz auch, kein Vollsortimenter – mit all den Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt. Peugeot hatte ein bürgerliches Renommee, einen Peugeot kaufte, wer arriviert war. Mit jungen Leuten oder mit armen Leuten hatte sich ein Peugeot-Verkäufer vor dem 104 nie auseinandersetzen müssen. Die ganze Verkaufsstrategie, das Marketing, ja die innere Einstellung von Peugeot begann in der bürgerlichen Mittelklasse, nicht darunter. Wie bei Daimler-Benz. Da war das noch ausgeprägter, und das Erscheinen des „Baby-Benz“ 190 E war für viele Mercedes-Kunden und -Verkäufer ein Kulturschock. Noch schlimmer kam es, als der Konzern mit der A-Klasse ins Kleinwagengeschäft einstieg. Nicht umsonst gab es damals interne Diskussionen, die A-Klasse über die seinerzeit getrennte Smart-Schiene zu vertreiben. Die Meinung, die A-Klasse sei dem klassischen Mercedes-Kunden nicht zuzumuten, war weit verbreitet, setzte sich aber nicht durch. Und so, wie ein Peugeot-504-Fahrer leicht indigniert guckte, als ein 104-Kunde im offenen Hemd und mit Jeans Vorrang vor ihm hatte, weil er einfach früher gekommen war, so schaute ein S-Klasse-Fahrer sauer, wenn sich ein A-Klasse-Kunde am Serviceschalter vordrängte.
Das klingt aus heutiger Sicht weit hergeholt. Kleine Peugeots gibt es seit 1972, und heute sind Peugeots weit kleiner als der damalige 104. Und einen Smart kaufte man zeitweise in der Mercedes-Niederlassung, wo man auch einen AMG-GT bekam. Teilweise vom selben Verkäufer, für den dies eine soziologische Herausforderung war, sich von jetzt auf nachher auf derart unterschiedliche Klienten einzustellen.
Insofern war der 104 ein besonderer Peugeot. Der erste Kompakte. Und dann auch noch gut gelungen, hübsch (weil er von Pininfarina gezeichnet wurde, wie damals alle Peugeot), modern, weil Peugeot zwar konservativ, aber nie unmodern waren, mit Frontantrieb und quer eingebautem Leichtmetallmotor, weil das damals der vorausschauende Stand der Dinge war, und mit kleinem Kofferraumdeckel, weil die große Klappe doch nicht jedermanns Sache war. Als Peugeot erkannte, das Prinzip Heckklappe setze sich durch, wurde (ziemlich spät) nachgerüstet. Und mit vier Türen, weil in Frankreich damals jedes Familienauto vier Türen hatte – egal, wie groß es war. Nur Sportler durften zweitürig sein. Der Peugeot 104 war ein großer Erfolg, linksrheinisch durchaus demjenigen des später geborenen VW Golf gleichzusetzen. Und so, wie der erste Golf heute ein Klassiker ist, ist es der kleine Peugeot 104 auch. Bis 1988 wurde er gebaut, 16 Jahre lang, und Generationen heutiger Modellautosammler verbinden ihn mit ihrer Kindheit. Gut, dass Norev ihn im Mai 2022 gebracht hat, unverständlich, dass Norev nicht schon früher auf diese Idee kam.
Peugeot ließ ihn zu lange ungemodellpflegt
Vor zwei Jahren, als der Norev 104 erschien, machte Norev einen 1977er, also ein eher frühes Baujahr. Jetzt kommen die jüngeren Peugeot 104 an die Reihe, nach dem Facelift. Fünf Jahre lang, bis 1977, ließ Peugeot seinem Kleinen keine Modellpflege zukommen und manövrierte ihn immer mehr ins Aus. Erst 1977 bekam der 104 eine Heckklappe, gleichzeitig erbten die besser ausgestatteten Modelle 104 GL und SL die größeren, trapezförmigen Scheinwerfer vom kürzeren Zweitürer, dem 104 ZS mit sportlichem Touch. Und neue, schwarz ummantelte Stoßstangen bekamen die beiden auch. Für 1981, dem Modelljahr, das Norev nachbildet, gab es kleinere Innenraumveränderungen und neue Farben, darunter das Beige Métallisé, das Norev auswählte. 1982 kam ein erneutes Facelift mit veränderten und kleineren Scheinwerfern, Kühlergrill und Felgen, gleichzeitig Reduzierung des Modellprogramms, um langsam aber sicher den Weg des Nachfolgers 205 zu ebnen. Dieser erschien Anfang 1983, aber der 104 durfte bis Sommer 1988 weiterleben – kurioserweise im letzten Modelljahr nochmals mit einem neuen Kühlergrill. Den kennen aber nur die Franzosen. Exportiert wurde der 104 seit 1984 nicht mehr. Das Norev-Modell stellt also die Version 1978 bis 1981 dar, die Farbe definiert ihn als 1981er Modelljahr.
Die Jahrgangs-Spezifikationen gut recherchiert
Gegenüber dem „alten“ 104 musste Norev einiges verändern, vor allem frontal. Rektal nicht, Norev wählte für den Erstling bereits die 1977er Version mit großer Heckklappe aus, hinten sind also nur die Schriftzüge und die Einfärbung der Rückleuchten (nunmehr mit Rückfahrscheinwerfern) anders. Und natürlich die Stoßstangen vorne und hinten, schwarz und kunststoffummantelt anstelle von Chrom. Und vorne trägt er die größeren Trapez-Scheinwerfer, also den „bösen Blick“, somit einen schmaleren Grill mit neu gestaltetem Löwen, kein „104“-Schriftzug mehr auf der Haube. Innen wenige Änderungen am Armaturenbrett, neues Lenkrad. Nach wie vor ist der Norev Peugeot 104 kein Kopfstützen-Träger, aber nachgebildet ist, dass Aufnahmen auf der Sitzlehne vorhanden und mit einem Stopfen verschlossen sind. Anschnallen kann man sich im 104, sofern man vorne sitzt. Hinten waren Gurte damals in Frankreich nicht Pflicht (in Deutschland schon, seit 1979, aber nur Beckengurte). Zu öffnen ist beim Norev 104 nichts, er lenkt und rollt, die Machart ist norevös, ein tadelloses Modellauto von einem in Deutschland weitgehend vergessenen Vorbild, von dem man wahrscheinlich einzig seinen Werbeslogan noch im Kopf haben mag: „Der kürzeste Viertürer Europas“.
afs
Steckbrief:
Norev 184904 Peugeot 104 GR 1981 beigemetallic. Fertigmodell Zinkdruckguss, Maßstab 1:18. UVP 65 Euro.