Von wegen Blau wie der Enzian!

Wenn man „blau“ steigern könnte, wäre das Rapid Blau auf der AUTOart Corvette C8 bläuer als andere Blau, vielleicht gar am Bläusten von allen Blaus. Kann man aber nicht, schade. Die Farbe sieht unverschämt gut aus auf dem Modellauto, und das sieht auch unverschämt gut aus. Vier Jahre nach dem Original bringt AUTOart seine Corvette C8. Und erneut kommt uns in den Sinn, dass dies zwar ein faszinierender Mittelmotorsportler ist. Aber eine Corvette ist es nicht.
Tatsächlich geht es immer nur um eines und letztlich immer um das selbe: Fortschritt oder Veränderung. Soll alles so bleiben, wie wir es gewohnt sind und lieben, egal ob es noch zeitgemäß ist? Oder darf und soll sich etwas ändern, den aktuellen Umständen anpassen, modern werden? Um nichts anderes geht es bei der Frage, ob die Corvette C8 noch eine echte Corvette ist.
Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Und sie lässt sich halbwegs pragmatisch beantworten. Die andere ist, dass die Corvette C8 nicht unbedingt besser oder moderner ist als die Generation vor ihr. Sie ist nur radikal anders. Und wenn anders nur deshalb anders ist, um des anders sein willens, dann bleibt der Pragmatismus auf der Strecke. Dann werden die Jünger des Althergebrachten nicht mit Fortschritt konfrontiert (dem schlecht zu widersprechen ist), sondern mit Veränderungen um des besseren Marketings willen, um neue Käuferschichten zu erreichen, um wieder in die Schlagzeilen zu kommen, um einer aktuellen Mode zu gefallen, um dem Mainstream hinterzuhecheln oder ihm, im besseren Falle, einen Schritt voraus zu sein.
C8 bedeutet Corvette der achten Generation. Seit 1953 gibt es die Chevrolet Corvette, und anfangs war sie eines der radikalsten Autos auf dem Weltmarkt. Denn Chevrolet versah sie damals mit einer Kunststoffkarosserie (freilich auf einem Stahlrahmen, also von wegen „rostet nie!“). Sie war der einzige, ernst zu nehmende Sportwagen, den die amerikanische Automobilindustrie für die nächsten 10 oder 15 Jahre auf die Beine stellte, sie war eine Ikone. Diese Ikone wandelte mehrmals ihr Gesicht, aber nie ihren Charakter. Spätestens 1967 mit der Generation Drei hatte die Corvette ihr Gesicht gefunden, mit dem sie bis heute identifiziert wird: eine sexy Figur mit sinnlicher Wespentaille, eine nicht enden wollende Motorhaube, darunter ein sonor klingender V8 mit überbordender Leistung, Heckantrieb, ein etwas archaisches Fahrwerk mit all seinen Vor- und Nachteilen und ein maskulines Image, bei dem alle Beifahrerinnen dahin schmelzen. Im Laufe der Zeit und der Generationen verwässerte das ein oder andere Attribut etwas, so verlor die Corvette mit der C6 ihre Klappscheinwerfer („Schlafaugen“). Und dann der radikale Wechsel mit der Generation C8, seit Anfang 2020 in Produktion.
Nichts ist, wie es war – außer dem Namen. Und genau das kreiden die Enthusiasten diesem neuen Sportwagen an. Eine völlige Neukonstruktion mit komplett anderem Layout. Der Motor nicht mehr hinter der Vorderachse, sondern hinter dem Fahrer, also ein Mittelmotor. Dadurch ist keine lange vordere Haube mehr nötig, der Innenraum rückt nach vorne (das so genannte Cab-Forward-Design), Gewindefedern statt einem Blattfederpaket hinten. Die Corvette sieht nicht mehr aus wie eine Corvette, es gibt null Wiedererkennungswert, sondern sie sieht aus wie ein Mittelmotorsportwagen eben aussieht. Sie fährt sich auch so. Die Fans fragten: Ist das überhaupt eine Corvette? Oder ist das ein komplett neuer Chevrolet-Sportwagen, der den Traditionsnamen zu unrecht trägt? Tatsächlich gab und gibt es Stimmen, die der C8 ihre Daseinsberechtigung wahrlich nicht absprechen und begeistert sind – wenn dieser Mittelmotorsportwagen eben eine zweite Chevrolet-Sportwagenlinie darstellen würde, die traditionelle Corvette ergänzend. Und genau damit wäre wirklich allen geholfen: Es gäbe eine aktuelle Corvette, und das, was heute Corvette C8 heißt, hieße anders und würde zusätzlich gebaut.
Gut Ding will Weile haben: Die AUTOart-C8 ist da
Die Corvette in all ihren Generationen gehört zu den häufig miniaturisierten Autos, zeitgenössisch ebenso wie als Klassiker, als Spielzeug ebenso wie als Modellauto. Eine neue Corvette sorgt für Begehrlichkeiten und somit Absatzchancen auf dem Modellautomarkt, und wer zuerst auf den Markt kommt, schöpft dieses Bedürfnis ab. Logischerweise waren die Resinehersteller die ersten, ihr Formenbau ist schnell erledigt, ihre Modelle bestehen nur aus Außenhaut und Innenraum, nichts geht auf, nichts funktioniert, oftmals drehen sich nicht mal die Räder. Noch im Erscheinungsjahr 2020 präsentierte GT Spirit seine erste Corvette C8, und es ging Schlag auf Schlag weiter mit den Versionen Z06 und R, ein IMSA Pace Car wurde auch noch hineingeschoben. Top Speed, ebenfalls Resine, kümmerte sich um die Le-Mans-Versionen, ACME verkaufte spezielle, von GT Spirit gefertigte C8. Auch die Diecast-Fraktion machte sich ans Werk, 2022 erschien Ixo in 1:43 und Maisto samt Burago in 1:18, auch ein Matchbox-Spielzeug mischte sich unters Corvetten-Volk. Die Enthusiasten konnten sich also in den vergangenen vier Jahren bestens mit C8-Corvetten eindecken. Aber einen Premium-Achtzehner gab es bislang nicht, weder in Diecast noch in der AUTOart-Machart Composite. Jetzt schon. Nach vier Jahren schaffte es AUTOart, ihre Corvette C8 zu bringen. Gut Ding will Weile haben, eine AUTOart-Symphonie zu komponieren dauert nun mal länger, als ein GT-Spirit-Liedchen zu Papier zu bringen.
Was für ein Blau!
In fünf Farben mit den jeweils gleichen, aber unterschiedlich lackierten Felgen (5 Dreizack-Speichen) zum jeweils selben Preis kommt die AUTOart-C8: Sebring Orange, Rapid Blue (unser Fotomuster) und Ceramic Matrix Grey Metallic mit Felgen in Silber/Anthrazit (Chevy spricht von „geschliffene Stirnflächen und Spectra Grey Finish“) und grauen Bremssätteln sowie Torch Red und Black mit einfarbig glanzschwarz lackierten Felgen („Gloss Black“) und roten Bremssätteln (wobei wir nicht sagen können, ob das nun „Edge Red“ oder „Bright Red“ ist, und dann gäbe es noch „Edge Yellow“). Alle Modelle haben ein abnehmbares Hardtop. Die ersten Farben Blau und Rot wurden im Juli ausgeliefert, die restlichen folgen Ende August.
Vor uns steht Blau. Was für ein Blau! Jeder englischsprachige Maler würde sagen: „You understand, it’s the light!“ Dieses Blau ist nicht Himmel, ist nicht Baby, ist nicht die Blaue Lagune, ist nicht das tiefste Blau des Blautopfs bei Blaubeuren, ist nicht die Blaue Blume von Novalis, ist nicht Lapislazuli, ist nicht das leuchtende Auge aus der Tiefe des Erdreichs, es ist nicht die Augenfarbe von Terence Hill oder Prinzessin Diana, sondern eine Essenz aus all dem zusammen, eine Farbe unergründlicher Tiefe, die sich nunancengleich im Innenraum fortsetzt (die Außenfarbe heißt Rapid Blue, innen heißt sie Tension Blue). Und außen und innen wird sie mit Schwarz kombiniert, mit schwarzem Leder, schwarzem Carbon, schwarzem Kunststoff, schwarzem Reifengummi, selbst die Scheinwerfer wirken schwarz, und das einzige Nichtblau oder Nichtschwarz sind die Rückleuchten. Warum eigentlich? Die Gläser könnten doch auch schwarz getönt sein. Ein bisschen Zusatzrot findet sich auch unter der Motorhaube, der Zylinderkopf ist rot lackiert. Selbst dafür gibt es ein wirkmächtiges Marketingwort: Man spricht von der „sportlichen Ästhetik“.
Nur im Original: LED-Leuchten für neugierige Motor-Spotter
Dieses Modell kann alles, was es können soll, hat darüber hinaus aber keine versteckten Gimmicks oder konstruktive Innovationen. Im hinteren Kofferraum, also hinter dem Mittelmotor, steckt passgenau das Targadach (im Original in Wagenfarbe, transparent oder im Carbon-Look erhältlich, bei AUTOart in Karosseriefarbe). Dieser sowie der unter der vorderen Haube eingelassene Wäschekorb und der Innenraum-Fußboden sind beflockt, also Teppichbodenimitat. Aber das ist diesmal kein weiches Material, sondern es ist etwas filzig, sieht aber gut aus und fühlt sich auch so an. Dass die Detaillierung unten und oben, innen und außen, auf höchstem Niveau ist, darf ebenso vorausgesetzt werden wie „meshed grills“, also durchbrochene Gitter, und eine detailversessene Bedruckung kleinster Kleinigkeiten. Der Innenraum, ebenfalls ein Detailfeuerwerk, brilliert natürlich durch seine exzessive Farbigkeit und die unterschiedliche Haptik, mit der AUTOart die verschiedenen Innenraummaterialien nachbildet. Die gleiche Gewissenhaftigkeit lässt AUTOart den Rädern angedeihen, herrlich zweifarbig abgesetzte Felgen, das Corvette-Logo auf den Naben, die Bremssättel beschriftet. Türen und Hauben haben nahezu keine Spaltmaße und schließen mit sattem Klang, das Modell lenkt und rollt seidenweich auf wohl profilierten Reifen mit vorbildgerecht eingeprägter Flankenbeschriftung (Michelin-Pilot-Sport-4S-Reifen). Bei der Corvette hat die übliche Motorplastikwüste ein Höflichkeits-Guckloch – nicht zuletzt, um die Neugierigen zu befriedigen, die durch die Heckscheibe spähen und belohnt werden wollen. Für jene, die ihren Mitmenschen mehr zeigen möchten, empfiehlt sich (im Original natürlich) das „Engine Appearance Paket“ mit Carbonkomponenten plus LED-Lichtern zur Beleuchtung des Motors. Das wenige, das Chevrolet dem Auge zubilligt, hat AUTOart mit Bravour umgesetzt: Man liest ein geprägtes „Corvette“ auf dem Zylinderkopfdeckel, man sieht ein paar Kabelchen, und wir freuen uns über die wahrscheinlich längsten Haubenlifter, die wir je an einem Modellauto gesehen haben. Trotz ihrer Länge verkantet nichts, sie funktionieren wunderbar – wie alles andere auch. Die AUTart-Tugenden eben…
afs


Modellfotos: Hans-Joachim Gilbert



Steckbrief:
AUTOart 71281 Chevrolet Corvette Stingray C8 Z51 Rapid Blue. Fertigmodell Kunststoff, Maßstab 1:18. UVP 257,95 Euro.