Brillenschlange ohne Brille
Der absolute Worker, der Malocher, ein Kraft-Wagen (im wahrsten Sinne des Wortes): Kyosho bringt den Toyota Land Cruiser J4 als kurzen Station Wagon. Ein ebenso unkaputtbares wie geniales Fahrzeug, das mit Geländewagenfreuden wenig zu tun hat, sondern ein reines Nutzfahrzeug ist. Mit Sammlerfreuden hat der J4 aber sehr wohl zu tun, denn Kyosho schuf eine wahre Preziose in 1:18.
Er hatte zwar ein gewaltiges Holzfällerimage und war nicht im geringsten sexy. Aber er taugte was im Gelände und er kam überall durch. Ende der 70er Jahre brachte Toyota den J4 Station Wagon nach Europa, auch nach Westdeutschland. Dabei war der toughe Hund damals schon ein ziemlich alter Hund, 1961 erschienen. Als er neu herauskam, wirkte er fast wie ein Oldtimer mit seinen frei stehenden vorderen Kotflügeln (wie der Kriegs-Jeep!) und den angewachsenen Trittbrettern (wie der VW Käfer). Und als er sich 1978/79 anschickte, Westdeutschland zu erobern, war er optisch wie aus der Zeit gefallen. Aber genau das unterschied ihn optisch von all den anderen.
In drei Antriebsversionen wurde er gebaut, als Benziner mit Reihensechszylinder und als Diesel mit vier oder sechs Töpfen, darüber hinaus mehrere Radstände und Aufbauarten. Produziert ab April 1961 sowohl in Japan als auch ab 1968 im brasilianischen Toyota-Zweigwerk unter dem Namen Bandeirante (dort mit Mercedes-Diesel-Motoren und viel länger als in der Heimat, bis 2001). Mit stets weiter entwickelten Motoren aber gleich bleibendem Aussehen wurde der J4 bis Ende der 70er Jahre gebaut, dann gab es eine neue Optik. Die Front war bei den frühen Modellen bis 1979 durch die so genannte Brille charakterisiert, also den weiße Bereich, der den Kühlergrill und die Scheinwerfer umfasste. Diese „Brille“ verlor der J4 zum Modelljahr 1980, der Grill blieb weiß, wurde aber rechteckig (und in manchen Ausstattungsversionen sogar verchromt), die weiterhin runden Scheinwerfer wanderten um vier Zentimeter nach außen. Das war die einzige optische Retusche des Toyota Land Cruiser J4 in seinem 23jährigen Leben. Das Kyosho-Modell stellt die Version nach diesem Facelift dar, ein Fahrzeug mit 2285 mm Radstand und Hardtop für den Privatgebrauch mit einigen „Hübschigkeiten“ wie Grill und vordere Stoßstange verchromt, im Laderaum zwei Sitze und Teppichboden, weiß lackierte Geländesportfelgen.
Wir zählen vier Räder. Und haben uns verzählt!
Kyosho ist in Sachen historische Geländewagen aus Japan gut unterwegs und deckt vor allem das klassische Toyota-Spektrum ab: Der erste Toyota-Geländewagen, der BJ Type AK10 von 1951 (der noch nicht „Land Cruiser“ hieß), erschien Anfang 2022. Im Jahr zuvor kam die Generation J6 als langer Station Wagon. Der nun neue J4 als Station Wagon folgt wiederum dem gleichen Typ als Pickup, den Kyosho im Herbst 2021 brachte. Und wer diese Reihe fortsetzen möchte, wird bei Almost Real mit der Generation J7 und bei Keng-Fai mit dem J8 fündig – gleiche Qualität, passt gut zusammen, gehört sogar fast schon gezwungenermaßen nebeneinander in die Vitrine gestellt.
Mit dem J4 Station Wagon hat Kyosho erneut eine Pretiose geschaffen, ein Modell, das rundum Freude bereitet – wenn man Geländewagen, ihre Charakteristik und ihren rustikalen Charme mag. Ein eindrucksvolles Auto mit überschaubaren Ausmaßen – ein Geländewagen halt, der immer etwas größer als ein Pkw ist. Und vor allem höher. Die Frontpartie dürfte den Älteren noch geläufig sein, der J4 war, als er neu auf dem westdeutschen Markt war, ein viel getestetes Fahrzeug: frei stehende Kotflügel, darauf die aufgesetzte Blinker-/Standlicht-Kombination, von der gewölbten Motorhaube abgesehen nur gerade Flächen, verstärkt durch Blechsicken, die umklappbare Windschutzscheibe fast aufrecht stehend. Kyosho hat das Fahrzeug prima getroffen und wunderbar detailliert: viele separate Kleinteile, die Spiegel ebenso filigran wie stabil (und rechts und links unterschiedlich positioniert), sauber ausgeführte Schriftzüge und selbst an solche Kleinigkeiten wie den japanisch beschrifteten Aufkleber neben der Anhängekupplung, der deren Stützlast ausweist, dachte Kyosho.
Aber an eines dachte Kyosho offenbar nicht, und das ist bei einem Offroader essentiell: Dieser Toyota Land Cruiser J4 ist ohne Reserverad unterwegs. Wir kennen es von serienmäßigen Fahrzeugen als Anhängsel auf der linken der beiden Flügelhecktüren. Da ist nichts, auch nicht im Kofferraum, auch nicht auf der Motorhaube, auch nicht unten am Chassis. Einfach vergessen. Kann das sein? Wir gingen auf Expeditionsreise in der Styroporverpackung. Die ist nicht weiß, sondern schwarz (was edel aussieht). Das Unterteil weist eine Vertiefung auf, in der sich tatsächlich ein Reserverad mit Halter in einem Tütchen befindet. Damit das Tütchen nicht unkontrolliert herumtollt, ist es mit einem Klebestreifen, so breit wie die Vertiefung, fixiert. Der ist so schwarz wie das Styropor und uns deshalb beim Auspacken nicht aufgefallen. Das Reserverad ist also da und muss am Heck eingehängt werden.
Die Türen zu den Vordersitzen und die zweiflügelige Hecktüre lassen sich öffnen. Alle sind an ebenso kruden, außen liegenden Scharnieren befestigt, wie Toyota das im Original ebenfalls ausführte. Das Armaturenbrett ist nur an seiner Oberseite schwarz gepolstert, die Türinnenverkleidungen bedecken nur einen Teil der inneren Türhaut. Gummi dominiert den Fahrerfußraum, aber dem Heckbereich spendierte Kyosho einen braunen Teppichboden und zwei längs angeordnete, aufgeklappte Klappstühle, man sitzt sich vis-à-vis. Diese sind, ebenso wie die Vordersitze, sehr hübsch gestreift, weiße Querstreifen zum ansonsten braunen Innenmaterial. Das alles ist sehr gut umgesetzt, dazu herrliche Armaturen. Zwischen Fahrer- und Beifahrersitz (der Toyota ist ein Rechtslenker) stecken zwei lange Hebel, einer für das Vierganggetriebe, der andere zum Einlegen der Geländeuntersetzung, und Kyosho lackiert sogar den Dachhimmel weiß und vergaß die Sonnenblenden nicht.
Kyosho in Reinkultur
Die Motorhaube, an zwei äußeren Scharnieren angeschlagen, öffnet in wildem Winkel und kann sich an die Dachvorderkante anlehnen. Man kann sie aber auch vernünftig offen halten, eine Haltestange bestimmt dann den Winkel. Darunter ein genial nachgebildeter Diesel, so ein richtiger Graugussblock mit allen nötigen Anbauteilen, einem riesigen Kühler, zwei typische, große Diesel-Batterien. Der Block ist schwarz, der Kopf ist silbern, die Anbauteile zumeist schwarz, manche auch weiß (Wasserbehälter) oder mattgold (Bremskraftverstärker) oder mausgrau (das Gehäuse von Innenraumlüfter inklusive seines Motors), dazu hinlänglich verkabelt, die Motorhaubeninnenseite mit Antidröhnmasse bemalt und mit einem Wartungsaufkleber versehen. Das Modell hat einen 4-Liter-Reihensechszylinder-Diesel mit 103 PS unter der Haube, 1980 erschienen und bis zum Produktionsstopp 1984 erhältlich. Das Fahrgestell ist ebenso sehenswert, vor allem der im hinteren Bereich frei liegende Rahmen, und es weist alle geländewagentypischen Eigenheiten auf. Darüber hinaus ist der Land Cruiser gefedert. Wohl bestollte Reifen sitzen auf den damals typischen, weißen Geländesportfelgen mit Ventilen; die Reifenflanken sind leider unbeschriftet.
Der Land Cruiser J4 ist in zwei Farben im April 2024 bei Kyosho erschienen, Rot mit weißem Dach und Weiß mit weißem Dach. Beider Dach ist mattweiß, denn im Original ist die Dachhaut aus unlackiertem Kunststoff. Sowohl Rot als auch Weiß sind werksseitig ausverkauft, aber beide sind importeursseitig lieferbar, denn sie kamen erst jüngst beim Importeur Minichamps an. Der Preis ist der gleiche. Mit Sicherheit werden weitere Farben folgen. Das ist also Kyosho in Reinkultur, genau so, wie der Sammler das wünscht und erwartet, wofür er (gerne) zahlt, ein old-school-Modell, das zwar eine Neukonstruktion ist, aber auch schon 30 Jahre alt sein könnte. Denn früher, da sind wir uns wohl einig, war ohnehin alles besser.
afs




Modellfotos: bat







Foto: Toyota

Foto: Toyota
Steckbrief:
Kyosho KYO8971W0 Toyota Land Cruiser J4 1981 weiß. Fertigmodell Zinkdruckguss, Maßstab 1:18. UVP des Importeurs Minichamps 279,95 Euro.