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News 1:18 Norev Mercedes 350 SE US-Version W116 1973

Western von gestern

Der kurze W116 ist länger als der lange W116, weil der kurze W116 US-Spezifikationen trägt und somit ridiküle aber effektive Stoßfänger, die das Auto um 30 Zentimeter länger machen. Die Formneuheit des kurzen Mercedes W116 von Norev erscheint zunächst exklusiv für Modelissimo.

Sie waren nicht zu beneiden, die europäischen (und japanischen) Autohersteller, die auf dem US-Markt Anfang der 70er Jahre ihr Glück suchten. Sie hatten ihre Bestandsmodelle, und der „Bestand“ war in Europa statischer als in den USA, wo die Hersteller ihre Autos ohnehin jedes Jahr einem Facelift unterzogen. Aber Fahrzeuge wie die Mercedes-Typen Strich-Acht, Roadster R107 oder S-Klasse W116, aber auch der Peugeot 504 oder BMW 3.0 und viele andere Europäer, waren eben bereits in Produktion und sollten auch weiterhin in die USA exportiert werden. Weiterhin – das bedeutete nach dem 1972 in Kraft getretenen „Motor Vehicle and Cost Saving Act“. Der besagte, dass neu zugelassene Personenwagen ab Modelljahr 1973 Stoßstangen haben mussten, die eine Karambolage bis etwa acht km/h schadlos abfangen können. Die Importeure mussten reagieren und ihre Fahrzeuge mit neuen Stoßstangen ausstatten, um sie weiterhin verkaufen zu können. Heraus kamen grausame und grausliche und grässliche Gummi-Stahl-Machwerke, welche die Linienführung völlig ruinierten. Die „Bumpers“ fingen die Kollisionskraft teilweise ab und leiteten die verbliebenen Crash-Energien über Metallträger und Stahlfedern in steifere Karosseriestrukturen ab. Obendrein mussten die Stoßfänger auf einheitlicher Höhe sein. Gerade englische und italienische Roadster litten darunter vehement (MG B und Midget, Triumph Spitfire und TR6, Fiat 124 Spider).

Bei Neukonstruktionen konnten die Hersteller diese US-Eigenheit bereits am Reisbrett berücksichtigen, und die nächste Generation an Fahrzeugen für den US-Export sah somit trotz Bumpers halbwegs harmonisch aus (zum Beispiel der Mercedes W123 und W126). Aber der W116 nicht. Dessen Ästhetik litt nicht nur, die ging radikal den Bach runter. Schön war das nicht, aber typisch amerikanisch und es blieb in Erinnerung. In Westdeutschland fuhren etliche Fahrzeuge mit US-Spezifikationen herum, Eigentümer waren Angehörige der US-Army, die hier stationiert waren. Aber noch viel mehr blieben diese Fahrzeuge in Erinnerung, weil sie in US-Filmen zu sehen waren, und Hollywood-Streifen waren in den 70er Jahren in Westdeutschland in manchen Kreisen das Hauptunterhaltungsmedium.

Nicht nur amerikanisch, sondern auch kurz

Dass Norev nach dem R107 mit US-Bumpers nun auch die W116-Limousine als nordamerikanisches und somit auch kanadisches Fahrzeug bringt, ist somit keine Nische, sondern dürfte vielen Sammlern gefallen, auch in good old Europe. Dass Norev aber nicht nur neue Stoßstangen und Lampen konstruierte, sondern eine komplett neue Karosserie, ist genial. Der bisherige Norev-W116 war nämlich lang, ein 450 SEL 6.9 (respektive ein Mal auch ein 350 SEL, nämlich der Kanzlerwagen von Helmut Schmidt). Nun kommt der kurze W116. Und er kommt in drei Farben als Europa-Fahrzeug sowie in US-Version, zunächst exklusiv für Modelissimo, später auch allgemein als Fachhandelsversion. Wenn es schon zwei Neuheiten in einem Modell gibt, also kurze Karosserie plus US-Spezifikationen, so suchen wir uns als Muster natürlich jenen aus, der beides in sich trägt, einen zypressengrünen 350 SE mit „US-Specs“, wie man landläufig „US Specifications“ verkürzt.

Das Modell ist nicht brandneu, sondern schon genau ein Jahr alt. Aber es war noch nie zu Gast bei Caramini, und es steht auch nirgends in Stein gemeißelt, dass wir nur über warme Brötchen berichten. Ein Brötchen ist auch dann noch frisch, wenn man sich nicht mehr die Zunge daran verbrennt. Nur über altbackene Brötchen berichten wir nicht. Über historische Brötchen hingegen durchaus.

Ton in Ton im Tone der Zypresse

Konstruktiv gleicht der Kurze dem Langen: all open, lenkbar, gefedert, also was Ihr wollt, Döner mit allem, old school – wie immer man es nennen mag. Und der Kurze ist so gut wie der Lange, und dieser ist super. Ein Erbsen- oder Nieten- und sonstiger Zähler, vor allem der Fehlerzähler, findet immer etwas. So gehört der dem 6.9 vorbehaltene, kleine Frontspoiler nicht an einen 350 SE, überhaupt gab es keinen 350 SE auf dem US-Markt, sondern den 450 SE (aber die Motoren sind optisch nahezu nicht unterscheidbar). Die hinteren Fensterkurbeln wollen nicht so recht damit harmonieren, dass auf der Mittelkonsole Schalter für vier elektrische Fensterheber sind. Die Besonderheiten des US-W116 von Norev gegenüber dem Europa-Modell: Sealed-Beam-Doppelrundscheinwerfer und die speziellen Stoßstangen. Die tragen einen Bedruckungsfehler, was Norev mittlerweile auch bewusst ist und bei folgenden US-W116 korrigiert wird: Die unteren der Doppelstoßstangen sind bei Norev komplett verchromt und mit einer Gummiauflage versehen. Die Stoßstangenecken hingegen sind beim Original komplett aus Gummi, sollten also mattschwarz sein. Sidemarkers trägt der US-W116 keine, denn die Leuchten sind um die Ecke gezogen und somit von der Seite sichtbar. Etwas verwundert sind wir wegen der orangefarbenen Blinkersektion der Rückleuchten. Unseres Wissens sind US-Rückleuchten komplett rot eingefärbt. Dort blinkt man hinten rot. Auf einen Meilentacho mit doppelter Beschriftung (im Außenkreis mph, im Innenkreis km/h) verzichtet Norev. Also ist der Mercedes ein kanadischer Wagen. Dort wird das Tempo in km/h gemessen. Die Kennzeichen sind generisch (Aufschrift „350 SE“), was typisch ist für von Modelissimo in Auftrag gegebene Modelle, und sie haben kein typisches US-Format. Das dürfte sich bei einer kommenden Fachhandelsversion ändern.

Der Wagen ist Ton in Ton grün lackiert, außen Zypressengrünmetallic, innen ebenfalls grün. Das ist edel und ungewöhnlich, und auch wer mit Grün als Farbe hadert, erkennt an, dass das dunkle Grünmetallic den Chrom nur so blitzen lässt! Bis auf die Schwellerzierleiste sind sämtliche Chromteile separat eingesetzt und tatsächlich verchromt, Heckschriftzug und hinterer Stern sind chrombedampft, und einen Ersatzstern für den Kühlergrill legt Norev bei. Ein sehr schönes Detail ist, dass die Unterseite des schwarzen Armaturenbretts vorbildgerecht in Innenraumfarbe gehalten ist, aber nicht bedruckt oder lackiert, sondern mit Teppichbodenplüsch bezogen. Dieser ziert natürlich auch Fußboden und Kofferraum, dessen Deckelinnenseite ganz Mercedes-like mattschwarz lackiert und mit einem Warndreieck versehen ist. Wie immer bei Norev, sind die Gitter des Kühlergrills grau, was korrekt ist bei einem Neuwagen, für den Betrachter aber ungewohnt. Da (nahezu) niemand die unzähligen kleinen Öffnungen mit der Flaschenbürste gereinigt hat, waren die Gitter nach kurzem Gebrauch eher schwarz als grau. Der Motor, wie üblich bei Norev eine Motorplatte, sieht beim 350 SE gut aus, der Block selber ist silbern, auf ihm thront das Luftfiltergehäuse in glänzendem Schwarz, einzelne Nebenaggregate sind farblich hervorgehoben und vorne, auf der Schlossplatte, ist das Typenschild aufgedruckt.

Die „gehobene Ausstattung“ in Serie und Leder als Extra

Korrekt auch die optische Führung der Türinnenverkleidungen, nach hinten oben ansteigend, was von außen sichtbar ist. Sie sind Bestandteil der „Gehobenen Ausstattung“ des W116, sämtliche W116-Achtzylinder trugen sie ab Werk, ebenso der lange Sechszylinder namens 280 SEL.

Es gibt genügend Sammler, die nicht immer das Topmodell wünschen, die des Hypes um den Sechs-Neuner überdrüssig sind und die der Normalradstand ästhetisch mehr anspricht. Der „Kurze“ liegt aus der Sicht Norevs nahe, Gleichteile vom „Langen“ konnten genutzt werden. Von einer Doublette kann auch nicht geredet werden. Zwar gibt es einen kurzen W116 seit Anfang 2021 von MCG, aber das ist ein einfaches Modell in sealed-Machart. Erst jetzt hat der Norev 450 SEL 6.9 einen würdigen Platznachbarn. Und, wer weiß, vielleicht dürfen wir auf weitere Kurze und Lange hoffen, auf einen langen W108/W109 und/oder auf einen kurzen W126. Man weiß ja nie…

Neben dem dunkelgrünen US-W116 mit Barock-Alus (Auflage 1000 Stück) gibt es den kurzen 350 SE in üblicher Europa-Version bei Modelissimo in hellem Blaumetallic und in Goldmetallic, diese beiden jeweils in 500er-Auflage und mit beradkappten Stahlfelgen, ebenfalls für 100 Euro.

afs

Ein SEL ist 10 cm länger als ein SE. Wegen der ausladenden Stoßfänger übertrifft ein US-W116 mit Normalradstand dimensional seinen europäischen SEL-Kollegen um 20 cm. Denn die Bumpers machen das Auto um 30 cm länger. Zypressengrün außen und Moosgrün innen: eine Harmonie in Grün.
Modellfotos: bat
Innen auch grün. Und gehobene Ausstattung, also mindestens Velours. Wir tippen eher auf Leder, denn die Sitzflächen und Lehnen der Vordersitze weisen sechs Polsterpfeifen auf, ein Charakteristikum der „Sonderausstattung Leder“. Sehr schön: auch hinten sind Sicherheitsgurte.
Nahaufnahme der Bumpers. Der seitliche Bereich sollte gemattschwärzt sein, ist aber verchromt. Norev weiß dies und wird es bei kommenden Auflagen berücksichtigen.
Die Profilaufnahme eines US-W116 zeigt sehr deutlich, wie sehr die Bumpers über die Karosserie hinaus ragen und die Linienführung ruinieren.
Foto: Archiv Daimler
Ab 1975, im Nachklang der ersten Energiekrise, waren auch die USA reif für den sechszylindrigen 280 SE, der im Prospekt in Zypressengrünmetallic mit Radkappenfelgen abgebildet wird. Oben eingeblendet die US-Armaturen: der Tacho mit zwei Skalen, außen in mph, innen in km/h. Foto: Archiv afs

Steckbrief:

Norev 183972 Mercedes 350 SE US-Version W116 1973 dunkelgrünmetallic. Fertigmodell Zinkdruckguss, Maßstab 1:18. Auflage 1000 Exemplare für Modelissimo. UVP 99,95 Euro.