Erinnerungen an den Goldzeisig
Der Erbe des Yellowbird wird seriös: Almost Real macht den Ruf CTR Anniversary als silbernen Boliden – einen Porsche, der kein Porsche ist und nicht von Porsche kommt, aber den Porsche-Mythos auf die Spitze treibt. So wie Almost Real die Qualität des Modells.
Fast jede größere Firma, vom halbwegs arrivierten Betrieb bis zum Konzern, hat in seiner Geschichte ein Leuchtfeuer – ein Produkt, das mit dem eigenen Namen verbunden wird, das vielleicht sogar verantwortlich dafür ist, dass es die Firma zu Erfolg gebracht hat. So wie der Käfer für Volkswagen oder Aspirin für Bayer. Dieses „Kernprodukt“, auch falls es längst veraltet und außer Produktion ist, wird vom Marketing gehegt, gepflegt und vielfach zitiert. Gerade so, als befürchte das Management, wenn der Name an dieses Produkt in Vergessenheit geriete, würde dieses Schicksal der gesamten Firma widerfahren. Bei Ruf ist es der Yellowbird. Wer den Namen des Porsche-Veredles und Autobauers auf Porsche-Basis aus dem Allgäu hört, denkt unweigerlich an den Yellowbird. Obgleich seine Hochphase 37 Jahre zurückliegt. Damals war der Ruf CTR, also der Yellowbird auf Elfer-Basis, das schnellste straßenzugelassene Auto der Welt, 342 km/h schnell. Das brannte sich ins kollektive Gedächtnis ein, das weiß man heute noch, denn das faszinierte – zu Zeiten, als derartige Superlative noch faszinieren durften.
Vom Yellowbird, auf Deutsch der Goldzeisig, kann Ruf nicht lassen, irgendwie dreht sich alles in der Pfaffenhausener Manufaktur um ihn, um sein Renommee, um sein Erbe, alles wird an ihm gemessen, er ist allgegenwärtig im Denken. Generell ist das nicht schlecht. Tradition bedeutet Kompetenz und Tradition ordnet die Gegenwart im großen Ganzen ein. Ganz klar, dass ein runder Geburtstag oder gar ein Jubiläum des Yellowbird gefeiert werden muss, am besten mit einer Art „Yellowbird Tribute“ oder „Yellowbird 2.0“. So nannnte ihn Ruf nicht, aber sinnigerweise CTR Anniversary, als er, natürlich kanariengelb lackiert, als Prototyp 2017, zum 30sten Yellowbird-Geburtstag, auf dem Genfer Salon stand. Das war ein ganz besonderer Prototyp. Denn erstmals handelte es sich dabei nicht um einen (schwer) modifizierten Porsche, sondern um eine Eigenkonstruktion der Firma Ruf im Stile eines Porsche 911 Typ 964.
Aus Pfaffenhausen, nicht aus Zuffenhausen
Ein Ruf CTR (= Gruppe C Twin-Turbo Ruf) ist also ein eigenständiges Fahrzeug mit ganz anderem Innenleben als ein Porsche 911. Der Ruf hat eine Rohkarosserie aus GfK, die auf einem Hilfsrahmen aus Stahl und Alu ruht, sämtliche Karosserieanbauteile sind ebenfalls aus GfK. Der Ruf sieht zwar weitgehend aus wie ein Porsche Typ 964, hat aber leicht veränderte Proportionen und Dimensionen, auch eine komplett andere Radaufhängung. Im Gegensatz zum Elfer boxert es im Heck des Ruf, auch der Motor ist eine Eigenkonstruktion mit Anleihen an das Original, ohne es in irgendeiner Form zu kopieren. 710 PS leistet der 3,6-Liter-Sechszylinder-Biturbo-Boxer und macht den seit 2019 gebauten Wagen 360 km/h schnell, also deutlich flinker als das viel zitierte Original von 1987. Zwei Jahre nach dem Prototyp stand die Serienversion erneut in Genf, mit neuen Felgen, größeren vorderen Lufteinlässen, neuem Armaturenbrett, aerodynamisch optimiertem Heckdeckel und eigens konstruiertem Siebengang-Getriebe. Für den CTR Anniversary verlangt Ruf 892.500 Euro und will nicht mehr als 50 Exemplare erstellen (2017 war noch von 30 Stück die Rede). Es dauert laut Ruf acht Monate, um einen CTR Anniversary zu bauen. Der Name „Anniversary“ hatte anlässlich der Neuvorstellung schon wieder eine andere Bedeutung für Ruf. Galt es 2017, als der Prototyp präsentiert wurde, den 30sten Geburtstag des Yellowbird zu feiern, so stand 2019 der 80ste Geburtstag des Unternehmens an, das Alois Ruf sen. 1939 in Pfaffenhausen gegründet hatte.
Der CTR bedeutet dem Porsche-Fahrer ein weit reduzierteres Porsche-Fahren als jeder Porsche aus Zuffenhausen. Nicht nur der schieren Leistung und der Retro-Optik wegen, und einen Sauger hat auch Porsche selbst noch im Elfer-Angebot. Nein, der Ruf CTR zeichnet sich dadurch aus, dass ihm etwas fehlt, das alle anderen haben, das aber nicht jeder Käufer haben will: elektronische Helferlein, das Auto als rollender Computer. Von jenen Notwendigkeiten abgesehen, die ein Auto zulassungsfähig machen, ist der Ruf CTR befreit von Assistenten, die für den Fahrer denken. Das heißt: Der Fahrer ist gezwungen, selbst zu denken. Denken beim Fahren, das macht manchen Leuten heute noch Freude! Und sie sind dazu sogar in der Lage. Fahrzeug Nummer Eins ist so knallgelb, wie ein Ruf sein muss, der den Yellowbird zitiert, und dient ebenso Alois Ruf jun. als Privatwagen wie der Firma Ruf als Vorführwagen. Es ist gut ausgestattet mit Klimaanlage und Infotainment. Nummer Zwei, der erste Kundenwagen, den Ruf auf dem Genfer Salon 2019 überreichte, ist blau lackiert und trägt diese Gimmicks nicht, um noch ein paar Pfund Gewicht einzusparen.
Almost Real – wie in echt
Ein Modellauto ist strukturell anders aufgebaut als ein echtes Auto. Modellautos sind konstruktiv noch auf Vorkriegsstand: Eine Karosserie wird auf ein separates Chassis aufgeschraubt. Anders geht es wohl nicht und diese Konstruktionsweise hat auch seine Vorteile – bei der Montage in der Fabrik, aber auch, wenn der Sammler ein Modell demontieren möchte. Dadurch sind natürlich solche Genialitäten wie ein Monocoque aus Carbonfiber, wie es der Ruf CTR (und so manch anderer Bolide) aufweist, nicht darstellbar. Eigentlich schade! Aber damit muss man leben, wie man auch damit leben muss, dass trotz aller Vorbildtreue oftmals die Materialien nicht dem Original entsprechen oder nicht durchgängig einheitlich sind. Almost Real reicherte die Zinkdruckgusskarosserie mit einem Heckdeckel aus Kunststoff an. Man fühlt es beim Anfassen, denn Kunststoff fasst sich wärmer an. Man sieht es nicht, die Lackierung ist ohne jegliche Nuancen. Sie ist überhaupt absolut perfekt im Porsche-Farbton GT-Silber Metallic M7Z. Das Internet bestätigt die Existenz von mindestens einem CTR in GT-Silber, Kennzeichen MN-CT 710 (MN steht für Mindelheim im Landkreis Unterallgäu, wo der Markt Pfaffenhausen mit seinen rund 2600 Einwohnern liegt).
Almost-Real-Modelle feiern sich selbst auf höchstem Niveau. Das geht innen los, alles perfekt mit dem speziellen Ruf-Lenkrad (mit dem Lenkeinschlag der Vorderräder gekoppelt) über die perfekt gestalteten Armaturen mit Ruf-typischen grünen Zeigern, die Sitzflächen mit schwarz-weißen Karos überzogen, Hinweiskleber im Türfutter, schwarze Einstiegsverkleidung mit „Ruf“-Schriftzug, und der Klang der Türen beim Schließen ist so satt wie bei einem „echten Porsche“.
Der Motorraum, wie erwähnt von einem Kunststoffdeckel mit durchsichtigem Grill bedeckt, offenbart eine Freude für’s Auge. Die knallgelb lackierten Partien zitieren eindeutig den Yellowbird von 1987, während die Sichtcarbon-Teile den Trend des 21sten Jahrhunderts widerspiegeln. Jedenfalls ein ungewöhnlicher Anblick in einem modernen Porsche. Es boxert. Die Felgen, eigenes Ruf-Design, mögen stilistisch polarisieren, aber wie Almost Real sie umsetzte, dürfte auf allgemeine Begeisterung stoßen: Befestigt mit Zentralschraube, Nabe mit „Ruf“-Schriftzug, keine Ventile (sind Ventile nicht heute der Stand bei High-Endern?), Reifenflanken zwar ohne Beschriftung, aber das Profil schreit nach Michelin (vorne 245/35 ZR 19, hinten 305/30 ZR 19), dazu yellowbirdgelbe Zangen mit „Ruf“-Logo, gelochte, dunkle Scheiben und „Brembo“ kann man auch lesen. Die Vorderhaube offenbart nicht so Dolles, wir ziehen gestaltetes Carbon mittels Decal der Carbon-Wiedergabe durch geprägtes Plastik vor.
Die Karosserie ist ohne Fehl und Tadel. Der Sammler muss eben ein wenig abstrahieren. Das Fahrzeug wirkt wie ein 911 Typ 964, ist aber keiner, Details sind anders, auch die Proportionen differieren ein wenig. Almost Real hat nun viel der derzeitigen Ruf-Palette miniaturisiert, den CTR, den SCR und das Rodeo Concept Car (noch keinen CTR3 Evo und keinen R Spyder). Interessanterweise gibt es neuerdings auch Almost-Real-Modelle im Ruf-Shop (derzeit den SCR in Minzgrün und in Irischgrün sowie den Rodeo zu je 299 Euro, also normaler Fachhandelspreis, auch die Boxen identisch). Als wir das letzte Mal auf der Ruf-Webseite zu Gast waren, gab es nur 1:64er von TSM Mini-GT für 30 Euro. Diese Kleinen dürften einen wahren SCR- oder CTR-Interessenten wohl weniger ansprechen. Da trifft ein Almost-Real-Modell schon eher das Niveau.
afs




Modellfotos: bat




Foto: Chelsea Jay

Foto: Alexander Migl
Steckbrief:
Almost Real ALM880303 Ruf CTR Anniversary 2019 silber. Fertigmodell Zinkdruckguss, Maßstab 1:18. Auflage 504 Exemplare. UVP des Importeurs Minichamps 299,95 Euro.