Der Inbegriff der Putzigkeit
Wir mögen putzig. Wir haben den Putzometer erfunden und wenden ihn regelmäßig an, denn er bewährt sich fortlaufend im Rahmen der Berichterstattung über Kleinwagen. Und wir stellen gerne die ganz Kleinen im großen Maßstab vor. Nun den Fiat Nuova 500, eine Neukonstruktion von Kyosho in 1:18. Ganz groß, der Kleine!
Regelmäßige Caramini-Leser kennen den Putzometer. Das ist das von uns erfundene, imaginäre Messinstrument, um den Grad der Putzigkeit zu erfassen. Je mehr der Putzometer ausschlägt, umso putziger ist das Modellauto. Beim neuen Kyosho Fiat 500 tut er ganz wild, schlägt nicht nur bis zum Anschlag, sondern sendet auch noch lustvolle Geräusche aus. Also voll putzig, unübertrefflich putzig, as putzig as putzig can be. Es liegt am Vorbild, natürlich. Es liegt aber auch an den drei Farben, die Kyosho ausgewählt hat: Himmel-Blau 403, Hell-Grün 362 und Korallenrot 135 (Fiat-Deutschland schrieb die Farbbezeichnungen wirklich so!), jeweils mit farblich harmonischem Interieur. Das sind so typische End-50er-Jahre-Pastellfarben, dass sie den Putzigkeitsfaktor gleich noch erhöhen. Und die cremefarbenen 12-Zoll-Felgen dazu, nochmals ein Putzigkeitspunkt. Unser Muster ist der Blaue, und alle drei sind zum gleichen Preis gleichzeitig im Mai 2024 erschienen und nun beim Importeur Minichamps eingetroffen.
Der Nuovo 500 ist eine Kyosho-Neuentwicklung, also aktueller Formenbau. Von Kyosho ist bekannt, dass sie old school arbeiten und ihr Metier hervorragend beherrschen, wovon der Fiat keine Ausnahme macht. Die Türen öffnen dank außen angebrachter, winziger Scharniere, wie beim Original, am Motordeckel sind sie innen angebracht, ebenfalls winzig, der vordere Deckel hängt an Doglegs. Der Öffnungswinkel der Türen ist ein wenig klein, und in der Offen-Funktion sind sie nicht fixiert. Damit kann man leben. Aber wenn sie geschlossen sind, halten sie auch nicht richtig zu (an unserem Exemplar trifft das zumindest auf die Beifahrertüre zu). Spaltmaße sind vorhanden, aber gering, und entsprechen auch dem Vorbild. Bei einem all-open-Modell sind Spaltmaße ohnehin selten ein Problem. Ein Problem sind sie dann, wenn beispielsweise bei einem Viertürer nur die vorderen Türen aufgehen, die hinteren aber geschlossen sind. Das sieht dann bescheiden aus. Das Fiatchen kann also alles öffnen, es kann lenken (gekoppelt mit dem Lenkrad) und es ist hinten leicht gefedert, sogar die positive Spur der Hinterräder hat Kyosho vorbildgetreu nachempfunden. Das geöffnete Verdeck ist funktionslos, und es lässt sich mutmaßen, dass Kyosho später andere Außenlacke mit einem geschlossenen Verdeck kombinieren wird. Das winzige Auto (mit rund 16 cm Länge so groß wie ein ausgewachsener 43er) gefällt uns außen und innen und auch von unten sehr gut. Ein Kritikpunkt ist die Oberflächengestaltung der Chromteile. Die sind nämlich allesamt nicht verchromt, sondern silbern lackiert. Nun war beim Original auch nicht alles verchromt, was glänzte. Teile (so die Türgriffe) sind aus Zinkdruckguss und tatsächlich verchromt, andere wie die hintere Kennzeichenbeleuchtung sind aus Kunststoff und von innen bedampft. Aber die Stoßstangen sind beim frühen Nuova 500 aus poliertem Metall, und das sollte en miniature besser mit einem Chromüberzug als mit silbernem Lack dargestellt werden. Aber es ist, wie es ist, und wenigstens ist es einheitlich. Wer weiß, vielleicht wäre der Kleine auch etwas „überladen“, wenn Kyosho Chrom verwendet hätte. Kyosho wird sich etwas dabei gedacht haben, und angesichts der Machart und des Verkaufspreises dürfte der Fakt, dass Silberung ein paar Kreuzerchen billiger ist als Chromüberzug, nicht ausschlaggebend gewesen sein.
Wir machen uns klein, wir kriechen in die Ecken
Kyosho hat alles richtig gemacht. Die Details entsprechen dem frühesten Baujahr 1957. Der Nuova 500 löste mitnichten den 500 C ab (das tat der 600er), der eine am Leben gehaltene Vorkriegskonstruktion, also der „Topolino“. So wurde der Nuova 500 nicht genannt, allenfalls posthum. Die Italiener sprachen einfach vom Cinquecento, somit vom Fünfhunderter. Er war unterhalb des Fiat 600 angesiedelt, somit der kleinste Fiat bis dato. Im ersten Produktionsjahr gab es ausschließlich den Fiat 500, das Kyosho-Modell, aus dem im Folgejahr der 500 Standard wurde. 1958 ergänzte Fiat das Programm um den 500 in Sonderausführung mit Kurbelfenstern, Rücksitzbank, Flankenzierleisten, Chromradkappen und Chromlampenringen.
Die Außenlackierung des Kyosho-Modells ist makellos, was wir von Kyosho gewohnt sind. Innen ist viel „Blech“ in Karosserielack zu sehen, auch das Armaturenbrett, gekrönt von einem schwarz-weiß gehaltenen Einzelinstrument mit rotem Zeiger, eingefasst in cremefarbenem Rahmen, gleich lackiert sind Lenksäule und Zweispeichenlenkrad. Mit dem beflockten schwarzen Teppichboden meinte es Kyosho etwas zu gut, das Original verfügte über Gummibodenmatten. Aber das konkrete, restaurierte Exemplar, das Kyosho zum Vorbild nahm, war eben mit Teppichboden aufgewertet. Hier nicht genau recherchiert zu haben, widerspricht Kyoshos Selbstverständnis, aber letztlich sieht der Teppichboden ja gut aus. Die nach vorne umklappbaren, windig dünn gepolsterten Sitze bildete Kyosho mit einer Stoffhaptik nach, ebenso die Innenverkleidungen, alles sehr schön. Eine Rücksitzbank gibt es, dem Original entsprechend, nicht. Unter der vorderen Haube der „Kofferraum“ – selbiger in Anführungszeichen, weil er keinen Koffer fasst. Er ist voll mit der nötigen Infrastruktur, nämlich Benzintank, Reserverad, Batterie und Bremsflüssigkeitsbehälter. Und auf dem Tank liegt etwas Verpacktes, das des Betrachters Phantasie anregt, was wohl darin verstaut sein mag. Der 1957er Verkaufsprospekt, der zu Rate gezogen wird, gibt Aufschluss: darin ist das Bordwerkzeug verpackt. Rechts und links sind zwei schwarze Schläuche zu sehen. Die führen von den Luftschlitzen unter den Scheinwerfern zu Klappen im Wageninneren. Das nannte man beim Fiat 500 „Lüftung“. Und eine Heizung kostete ohnehin Aufpreis.
Die Motorklappe öffnen sollte man tunlichst, ohne den silbernen Griff dazu zu nutzen. Wir sprechen aus Erfahrung und warnen, unseren Fehler zu wiederholen. Dies erklärt, warum unser Fotomuster keinen Griff mehr hat. Er war im Lieferumfang enthalten, und nun ist er tief in den Poren des Teppichs unter dem schwarzen Schreibtisch verborgen. Ob wir ihn je wieder finden? Oder ob der Staubsauger schneller ist? Hinter der Klappe ist das luftgekühlte Motörchen, ein Zweizylinder mit 479 cm³ Hubraum und 13,5 PS (in diesen Leistungsregionen werden auch halbe PS gezählt!), bald auf 15 PS erhöht, sehr hübsch und mit ein paar Farbtupfen von Kyosho wiedergegeben. Erwähnenswert ist auch das zurück geklappte Verdeck, nicht nur einfarbig. Man sieht Teile seiner Innenhaut, und die ist hell, und obendrein wird das Verdeck von straffenden Bändern gehalten. Damit es nicht im Fahrwind flattert, ist die Verdeckrolle mit einem Lederband gesichert – beim Modell ebenso wie beim Original.
Einer macht glücklich. Drei machen glücklicher
Nun gibt es in 1:18 ja noch weitere Fiat Nuova 500, unterschiedliche Jahrgänge, aber mit gleicher Grundkarosserie und somit auch recht hohem Putzigkeitsfaktor, und je nach Hersteller sind sie mal höherwertiger und mal einfacher gestaltet. Zu den einfachen Ausgaben gehören Welly, Bburago und Solido. Wesentlich hochwertiger ist das schon lange nicht mehr lieferbare all-open-Modell von Minichamps (2010 erschienen, auch als Carabinieri). Aber das ist kein „alter“ 500er, sondern ein wesentlich jüngeres Modell, ein Fiat 500 L von 1968. Interessanterweise hatte Laudoracing nie einen Nuova 500 in 1:18 im Programm, dafür einen mit knapp 900 Euro sehr teuren Nuova 500 F von 1965 im Maßstab 1:6, 2020 erschienen und ausverkauft. So ist also das antiquarische Minichamps-Modell auf Augenhöhe mit der Kyosho-Neuheit und beide passen gut nebeneinander, denn die elf Jahre zeitliche Weiterentwicklung macht aus dem Minichamps doch ein anderes Auto mit vorne angeschlagenen Türen und kleinem Klappverdeck anstelle des großen, über die komplette Dachhaut reichenden Rollverdecks beim Ur-500er von Kyosho. Das heißt: Wer den Kyosho kauft und sich in ihn verliebt, sollte schauen, dass er zusätzlich einen Antiquarischen von Minichamps erwirbt. Und dann sei natürlich noch an den Norev Giardiniera erinnert, also die Kombiversion, bei welcher der Putzometer ebenfalls größtmöglich ausschlug (siehe Caramini-online vom 9. März 2024).
Als Szenevehikel vom Trabant abgelöst
Nun muss man, um den Putzometer erneut in Erinnerung zu rufen, natürlich wissen, dass dieses Attribut nur in der heutigen Zeit, also in der Retrospektive gilt. Als der Fiat Nuova 500 aktuell war, Ende der 50er Jahre, war er die billigste und kleinste Möglichkeit für die Italiener, automobil zu sein und ein Ausdruck der Armut – allenfalls ein erster Schritt in Richtung eines „richtigen“ Autos. Als Alltagsfahrzeug, gerade mit Bambini, taugte er nicht, einfach zu klein. Als kleines Familienauto fungierte in Italien nicht der 500er, sondern der 600er, karosserie- und leistungsmäßig eine Stufe höher. Und bis zu seinem Ende war der Fiat 500 letztlich nur ein Kompromiss, ein Zweitwagen für die Stadt oder ein Erstwagen für einen Führerscheinneuling (was auch für seinen etwas unglücklichen Nachfolger, den Fiat 126, gilt). Süß, reizend, putzig wurde der 500er erst als Oldie, gerne auch als preiswerter Einstiegs-Oldie – eben als Fun-Zeug und nicht als Fahr-Zeug. Ende der 80er Jahre war der Nuova 500 das angesagte Spielzeug der Münchner Yuppies, jeder flitzte damit auf der Leopoldstraße herum, sehen und gesehen werden in Schwabing. Abgelöst wurde er, unter den „First Movern“ oder den „Early Adoptern“ (wie man diejenigen, die dem Mainstream vorauseilen, damals noch nicht nannte!) vom Trabant. Gleich nach der Wende wurde der Fiat 500 an Oldieliebhaber in der Provinz verkauft. In München fuhr man dann Trabant, ein Jährchen lang oder auch deren zwei. Bis auch der Trabi langweilig wurde. Dann kam die nächste Oldie-Mode.
afs
Steckbrief:
Kyosho KS08966LB Fiat Nuova 500 1957 hellblau. Fertigmodell Zinkdruckguss, Maßstab 1:18. UVP des Importeurs Minichamps 234,95 Euro.