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News 1:18 Kyosho Rolls Royce Ghost I 2009

Geisterstunde

Die automobile Krönung war der Rolls-Royce, und auch nach der Bajuvarisierung der britischen Traditionsmarke ist das Renommee ein Hohes. Die Eintrittskarte in den erlauchten Kreis der Rolls-Royce-Eigentümer heißt Ghost, der arrivierte Rolls-Royce ist der Phantom. Kyosho macht beide in erster Generation, und der Ghost kommt nun in einer mutigen Farbe, fast schon eine „crazy color“.

Das Wort „Einsteigermodell“ ist irreführend. Schon alleine deshalb, weil man in jedes Auto einsteigt, um es nutzen zu können. Davon abgesehen, insinuiert „Einsteigermodell“ etwas Preiswertes oder gar Billiges, eben ein Automobil am untersten Ende der Preisskala seiner Typenreihe. Natürlich gibt es in jeder Typenreihe und von jedem Hersteller, der mehr als eine Variante seines Produktes anbietet, eine Version, die am Günstigsten ist. Auch bei absoluten Luxusmarken. Auch bei Rolls-Royce. Dort ist es der Ghost. Er ist, wenn man das Wort bemühen möchte, das „Einsteigermodell“. Aber er ist eben auch ein Rolls-Royce und somit in Rolls-Royce-Sphären unterwegs. Er ist preiswerter als der Phantom. Vielleicht ist er sogar preiswert im wahrsten Sinne des Wortes, also seinen Preis wert. Aber billig ist er mit Sicherheit nicht. Nichts an ihm ist billig. Alles ist hochwertig. Alles ist Rolls-Royce.

So sieht das auch Kyosho. Kyosho hatte das Privileg, eine recht lange Zeit der Industrienmodellanbieter schlechthin für BMW zu sein (das ist längst vorbei!), und weil Rolls-Royce eine BMW-Filiale ist, durfte Kyosho auch die beiden Typen Rolls-Royce Phantom VII (also den ersten BMW-Rolls-Royce von 2003) und den ersten Ghost von 2009 machen. Beide werden im Original nicht mehr gefertigt, beide sind aber nach wie vor aktuelle Fahrzeuge, weil sie schlichtweg nicht altern, nur weil sie einen Nachfolger bekommen. Und so hat Kyosho genügend Gründe, beide immer mal wieder neu aufleben zu lassen, und besondere Farben überzeugen und motivieren die Kunden, zum Zweit-Phantom oder zum Zwei-Ghost zu greifen. Jetzt ist der Ghost in einer neuen, äußerst spektakulären Farbe gekommen, in rotem Unilack mit Silbermetallic. Das ist eine mutige Farbe, das ist ein automobiles Statement. Das leistet sich, wer es sich leisten kann. In Schwarz oder Silber mag er als Gebrauchtwagen mehr bringen. In knalligem Rot ist der Ghost hingegen das Richtige für die wertverlustbedenkenfreie Klientel mit individuellem, ausgesuchtem Geschmack. Sie hält der Gesellschaft schön den Spiegel vor.

Der Verlust ist ein Gewinn

Das Original wurde im April 2009 auf der Automesse in Shanghai enthüllt, die Europa-Präsentation erfolgte auf der IAA im gleichen Jahr, und die Auslieferung in Europa startete sofort danach, in USA und Asien ein halbes Jahr später. Ab diesem Zeitpunkt hielten sich Gerüchte, Kyosho werde im Rahmen seiner BMW-Industrieaufträge einen Achtzehner fertigen. Er wurde bald angekündigt, aber die Fertigstellung verzögerte sich immer wieder. Erst Ende 2011 war Geisterstunde, das Modell erschien und begeisterte. Vier zu öffnende Türen und dann auch noch gegenläufig zueinander, das war damals noch etwas Besonderes. Und überhaupt stellte Kyosho mit dem Ghost sein Können unter Beweis. Seine Detaillierungsgrad ist heute noch bestechend, damals war er Aufsehen erregend: Die Felgenlogos drehen sich nicht mit, wenn das Modell rollt. Längs verschiebbare Vordersitze, an deren Rückseite ausklappbare Picknick-Tische angebracht sind, Mittelarmlehne hinten und zwischen den Vordersitzen lässt sich öffnen, die Sonnenblenden klappbar, herausnehmbare Regenschirme in den Vordertüren, die Seitenspiegel lassen sich umklappen und die unter dem Panoramadach angebrachte Verblendung ist beweglich. Das alles schindete ungemeinen Eindruck, und Kyosho ließ sich diesen Detailreichtum schon damals gut bezahlen, die UVP betrug vor zwölf Jahren 250 Euro. Bei den ersten Modellen gab es leise Kritik an Schlaufen, die an den beweglichen Innenraumteilen angebracht waren, um diese bedienen zu können. Kyosho nahm diese Anregungen ernst und verzichtete bei späteren Auflagen auf die Schlaufen. Wer heute die Deckel der Konsolen öffnen oder die Picknick-Tische ausklappen will, muss mit den Fingern fummeln oder, wesentlich besser, nimmt dafür ein feines Werkzeug zur Hand. Die Schlaufen waren echt nicht schön, ihr Verlust ist ein Gewinn.

Ein begreifbares Modellauto

Es ist ein Kyosho-Modell. Es strahlt diese typische Kyosho-Mixtur aus Solidität und Detaillierung aus, die wir sehr schätzen, die das Modell „begreifbar“ macht, also dafür sorgt, dass man es mit den Händen angreifen kann, ohne dass etwas kaputt geht. Und doch ist es wunderschön gefertigt, teilweise richtiggehend feinsinnig. Zu den auf den ersten Blick erkennbaren, beweglichen Teilen – nennen wir sie „Unterhaltungsgimmicks“, weil sie den Spieltrieb fördern – kommen etliche Kleinigkeiten, bei denen wir von „Liebe zum Detail“ sprechen wollen, und die das Auto zu einem Gesamtkunstwerk formen. Da ist zum Beispiel das gravierte „RR“-Logo in den Schweinwerfergläsern oder das herrlich geformte Emblem in den Kotflügeln vor den Vordertüren, da ist die superb nachgebildete Kühlerfigur, the Spirit of Ecstasy, das verchromte „V12“-Emblem auf dem Motor (wobei die Motornachbildung eine zweidimensionale Platte à la Norev ist), Haubenlifter (die 2011 lange nicht so selbstverständlich waren wie heute), perfekt nachgebildete, skalierte Armaturen mit weißen Ziffernblättern in Chromeinfassung, verchromte Vordersitzfundamente, vorbildliche Schlossplatten in den Türfugen, und alle Pracht und Herrlichkeit des Interieurs. Das eint jeden Kyosho Rolls-Royce Ghost, ebenso wie der satte Klang beim Schließen der Türen und die etwas grobschlächtigen Haubenscharniere. Perfekt gelungen ist das nahtlose Zusammenspiel der beiden Türgriffe für Vorder- und Hintertüre, die durch den gegenläufigen Anschlag eine Linie bilden. Das separat eingesetzte Türschloss weist sogar die Vertiefung aus, in welche man den Schlüssel steckt. Und auf der Mittelkonsole ist ein runder Knopf – gerade so, als sei’s ein BMW.

Oh, wie verführerisch…: mutige Farbe

Seit Ende 2011 ist der Rolls-Royce Ghost von Kyosho in insgesamt 16 Farben erschienen. Im Juli 2024 kamen neue Farben, eigentlich Farbkombinationen. Denn bei jedem Ghost, unabhängig von der Außenfarbe, sind Motorhaube sowie die Bereiche rund um den Grill und die Windschutzscheibe in Silber lackiert. Einfarbig ist somit nur ein silberner Wagen (sofern der Kunde nicht Einfarbigkeit als Wunsch äußert). Neu sind nun Schwarz, Tomatenrot (Ensign Red, unser Fotomuster) und Hellblaumetallic (Lazuli Blue, ohne silberne Partien, wobei es denselben Farbton mit silbernen Partien bereits im August 2021 gab). Bis auf den Schwarzen sind alle werksseitig bereits vergriffen, aber der Importeur Minichamps bekam sie just und verteilt sie gerne unter die Kunden. Die Lackierung unseres „Feuerwehr-Einsatzleitwagens“ ist schlichtweg eine Schau. Das Enseign Red strahlt wie eine frische Tomate, dazu die silberne Frontpartie und eine Coach Line in Silber, die absolut akkurat aufgetragen ist. Obendrein findet das Enseign Red seine Fortsetzung durch Akzente auf den Sitzen des Interieurs in Moccasin. Natürlich ist das nicht seriös! Natürlich ist das ein Statement, ist provokant, grenzt an Narzissmus (oder ist vielleicht sogar Ausdruck einer krankhaften Übersteigerung desselben…). Aber der Sammler, der sich für eine Farbe entscheidet, leidet weder an denselben Persönlichkeitsstörungen wie der Käufer des Vorbilds, noch will er zum Ausdruck bringen, was jene Person beabsichtigt. Er will einfach nur ein Modellauto in einer Wow!-Farbe, und das bietet ihm Kyosho. Das Gefährliche, ja fast schon Niederträchtige an solchen spät nachgeschobenen, endgeilen Farben ist: Das Modell ist so verführerisch, dass es den haben-will-Effekt auslöst, selbst wenn man bereits einen Kyosho Ghost hat. Man redet sich dann den Satz ein, der von Oscar Wilde stammen könnte (wenn er gewusst hätte, was ein Rolls-Royce Ghost ist): „Der Trend geht zum Zweit-Rolls-Royce.“

Aber das tut er ja ohnehin, wenn man sich vor Augen führt, was für herrliche Rolls-Royce Kyosho bereits herausgebracht hat: an aktuellen Modellen neben dem Ghost den Phantom VII als lange Limousine und als Cabriolet, als Klassiker den königlichen Phantom VI von 1968, dann als Vintage Car den unübertrefflichen Phantom I Tourer von 1926 mit Karosserie von Smith & Waddington. Darüber hinaus gibt es von Kyosho den Bentley Flying Spur von 2013 und den Mulsanne Speed von 2015. Wenn wir dann noch die ganzen Bentley-Modelle von Minichamps bedenken (plus den Rolls-Royce Silver Cloud von 1956) sowie das Almost-Real-Angebot (Bentley Mulsanne Limousine und Grand Limousine 2016) – dann tut sich da eine veritable Sammlung an Bentley- und Rolls-Royce-Fahrzeugen in 1:18 auf ziemlich genau gleichem und ziemlich genau gleich hohem Qualitätsniveau auf, die sehr erhaben und berauschend ist – und sehr teuer! afs

Der Geist der Vollendung: Kyosho schuf ein Ausnahmemodell, das nun in einer Ausnahmefarbe erscheint. Ein Ausdruck des heutigen Denkens, wonach Reichtum nicht mehr diskret zur Schau gestellt wird. Auch hier gilt: Der Parvenü handelt anders als der Vertreter des alten Wohlstands.
Modellfotos: bat
Macht hoch die Tür, die Tor’ macht weit: Gegenläufige Türen, ausklappbare Picknicktische und hintere Mittelarmlehne, die Konsolenabdeckungen zu öffnen.
Kyosho-Ghost-5 und -6
Der Gipfel des Luxus’, auch en miniature, mit herrlichen Instrumenten und wunderbarem Holz. Die Vordertüren beherbergen je einen Regenschirm.
Typisch Kyosho: Krude Scharniere, kombiniert mit fein gearbeiteten Haubenliftern.
Feine Stoffe auch im Gepäckabteil („Kofferraum“ mag man dazu nicht sagen, zu banal), selbst an der Haubeninnenseite, mattschwarz bedruckte Gummidichtung, schön glänzende Abschlusskante.
Die Farbe mindestens so „crazy“ wie beim Kyosho-Modell: Ghost in der Wing Lok Street, Sheung Wan in Hongkong im Dezember 2012.
Foto: Oeurakeg

Steckbrief:

Kyosho KYO8802RS Rolls-Royce Ghost I 2009 rot/silber. Fertigmodell Zinkdruckguss, Maßstab 1:18. UVP des Importeurs Minichamps 338,50 Euro.