Der Virtuose mit all seinen Schrullen
Werkstuning, Tuningwahn, Bodykit sind Schlagworte der 80er Jahre. Dann kommt noch Hochleistungslimousine hinzu. Und heraus kommen Geräte wie der Alfa 75 Turbo Evolutione, von Laudoracing meisterlich umgesetzt. So rot, wie Rot nur sein kann, so tief, breit und lüstern, wie Tuning in den 80ern nur sein kann. Einfach herrlich…!
Der Alfa 75 gehört einer Design-Ära an, die umstritten ist, auch unter treuen Alfisti. Ermanno Cressoni (1939-2005) ist einerseits der Name des Designers, andererseits der Aufreger an und für sich, und so zufrieden die Anhänger des Alfa-Ästhetizismus’ mit Cressonis Frontpartien sind, so sehr schwillt ihnen Hals und womöglich noch anderes, wenn sie auf die Heckpartie zu sprechen kommen, für die sie mehrheitlich ganz nonchalant ein unflätiges Wort gebrauchen (wir geben es nicht wieder. Es hat fünf Buchstaben, fängt mit A an und hört mit sch auf). Mit seinem Alfa-Erstling, der Alfetta Berlina, war jeder (mehr oder weniger) glücklich, grazil gezeichnet, aber schon speckige Ansätze, vor allem das hohe Heck. Und das bildete Cressoni im Laufe seiner künstlerischen Weiterentwicklung besonders großzügig aus, und dem Ende der Entwicklung verpasste er einen theoretischen Überbau, den er „La Linea“ nannte: Von der Alfetta Berlina (1972) ging sie im Crescendo weiter über die Giulietta (1977) und fand ihren Höhepunkt im Alfa 33 (1983) und Alfa 75 (1985). Im Innenraum hingegen präsentierte sich der umstrittene Maestro genial: Er entwarf das Design einer Mittelkonsole mit zusätzlichem Stauraum, weil er den Handbremshebel U-förmig gestaltete und bekam dafür sogar ein US-Patent.
Der Alfa 75 war der letzte „echte“ Alfa, bevor Fiat 1986 die Marke übernahm, Cressoni war nun Fiat-Stilist und dachte seinen Stil neu (Fiat Cinquecento, Coupé, Barchetta, Bravo/Brava), und viele seiner Mitarbeiter im Centro Stile Fiat machten anschließend eine Karriere: Chris Bangle, Walter de Silva, Andreas Zapatinas. So schlecht scheint Cressonis Schule also nicht gewesen zu sein (und er ist bekannt dafür, seine ihm untergebenen Mitarbeiter nicht klein gehalten, sondern sie massiv gefördert zu haben!). Dennoch: Die Heckpartien am Alfa 33 und Alfa 75 sind mehr als gewöhnungsbedürftig und haben nicht zuletzt dazu beigetragen, dass Alfa Romeo zum Übernahmekandidaten wurde. Denn, ganz ehrlich, beide Fahrzeuge wäre weit größere Erfolge gewesen, wenn ihr Design nicht dermaßen polarisiert hätte, sondern etwas massentauglicher gewesen wäre. Nachdem Cressoni Fiat-Chefstilist geworden war, wurde Walter de Silva seines ex-Vorgesetzten Nachfolger als Alfa-Chefdesigner. Chris Bangle hingegen folgte Cressoni zu Fiat, wo er auch einen Alfa zeichnen durfte: den 145. Danach ging er zu BMW.
Laudoracing beendet den Run auf das alte Otto-Mobil
Wie wenig massentauglich der Alfa 75 war, zeigt auch, wie selten er als Miniaturauto gewürdigt wurde. Zeitgenössisches gab es gar nicht, erst posthum kamen 1:43-Modelle von M4 und Progetto K sowie einige Resine-Kits (der beste von Alezan), die aber weniger dem Alfa 75 an sich, sondern eher seinen Rundstreckenrennerfolgen geschuldet waren. Das schönste 1:43-Modell ist der Alfa 75 America von Minichamps, 2005 erschienen. In 1:18 hingegen scheint der Alfa 75 bessere Karten zu haben, aber auch erst in jüngerer Vergangenheit. Es hat den Turbo Evolutione von Ottomobile gegeben (1750 Exemplare im Herbst 2014, längst vergriffen und bisher ziemlich begehrt), MCG hat ihn als Diecast-Modell ohne zu öffnende Teile angekündigt. Der Run auf das Otto-Mobil hat nun ein Ende, nachdem Laudoracing seine Neuheit brachte. Einen zivilen Alfa 75, den Turbo America von 1986, hat Laudoracing bereits im Programm, noch lieferbar in Anthrazitmetallic, ausverkauft in Silber und Rot sowie Polizia und Carabinieri. Der Alfa 75 Twin Spark von Laudoracing in zehn Versionen ist restlos ausverkauft, ebenso der 3.0 V6 in drei Farben.
Stradale mit Widebody-Kit
Der Turbo Evolutione erschien, wie es der Name schon andeutet, als Homologationsmodell für den Rennsport. Geboren wurde der 75 als Giulietta-Nachfolger 1985, dummerweise aber in der gleichen Größenklasse und mit der weitgehend gleichen Technik (Heckantrieb) wie der ein Jahr ältere Alfa 90, und obendrein verwendete der Alfa 75 sogar wesentliche Teile der Karosseriestruktur seines Vorgängers – eine der vielen aus der finanziellen Not geborenen (Fehl-)Entscheidungen, die Alfa zum Übernahmekandidaten machten. Nach dem Ende des Alfa 90 anno 1987 positionierte sich der 75er zwischen Alfa 33 und dem neuen großen Alfa 164 und nahm die Stellung der Sportlimousine innerhalb des Programms ein. 1987, also bereits unter Fiat-Ägide, stieg Alfa in die Tourenwagenweltmeisterschaft mit dem 290 bis 400 PS starken Gruppe-A-75 ein. Voraussetzung dafür waren 500 Stradale-Exemplare des Renners, die als Alfa 75 1.8 I.E. Turbo Evolutione im Frühjahr 1987 gebaut wurden. Technisch entsprach er dem existenten 1.8 I.E. Turbo, ein Vierzylinder mit Bosch-Jetronic-Einspritzung und Garrett-T3-Turbolader mit Intercooler, 155 PS stark. Doch während dieser halbwegs zivil aussah, machte Alfa aus dem Evolutione einen Plastikbomber mit Widebody-Kit à la Tourenwagenrenner. Die optischen Unterschiede des Evolutione zum Serien-Turbo: Kotflügelverbreiterungen und Schürzen aus GfK, kleiner integrierter Heckspoiler (der später in die Serie übernommen wurde), 15-Zoll-Alus von Campagnolo in Rot (was optisch fast eine Zumutung ist), Kühlergrill rot statt grau lackiert, seitlicher Aufkleber mit grauem Verlauf und Aufschrift „75 Evolutione“, innen leicht geändertes Sitzdesign. Und dass man, um die elektrischen Fenster zu bedienen, den Schalter dafür am Dachhimmel suchen musste, darf getrost als Schrulligkeit durchgehen.
Selbst Schrulligkeiten setzt Laudoracing virtuos um
All diese Besonderheiten setzt Laudoracing erstklassig um. Deren mehrere Alfa-75-Varianten waren/sind formal tadellos gelungene Modelle mit schönen Details, der neue Turbo Evolutione baut darauf auf und ist somit auch rundweg schön – wenngleich arg rot. Dass die Campagnolos in Karosseriefarbe lackiert sind, wirkt ein wenig nach Hinterhoftuning, ist aber vorbildlich. Ein ganz klasse Detail ist der Windschutz an den vorderen Seitenscheiben, ebenso aus Zellon gefertigt wie die Scheiben selbst. Immer wieder erwähnenswert ist die tadellose Laudoracing-Lackierung, nicht nur hochglänzend mit absolut planer Oberfläche, sondern auch sehr kantengenau bei Mehrfarblackierungen. Besonders deutlich wird dies beim rundum laufenden, dunkelgrauen Band, während der Hersteller beim „75 Evolutione“-Schriftzug mit seiner Verlaufslackierung auf ein Decal setzt (was insofern auch korrekt ist, als es sich beim Original um einen großflächigen Aufkleber handelte). Die Scheinwerfer und Blinker mit der nötigen Tiefe haben korrekte Streuscheiben, schön umgesetzt auch das stilistisch umstrittene, orangefarbene „Leuchtband“ oberhalb der Rücklichter. Besondere Mühe gab sich Laudoracing bei der Darstellung des Alfa-Logos vorne und hinten, die Schriftzüge sind chromgeprägt, den Scudetto umrahmt ein Fotoätzteil. Die mehrfarbige Innenausstattung ist auch ganz fein, ebenso die Armaturen. Dass sie eher nach den Knöpfen eines 80er-Jahre-Elektroherds als nach klassischen Instrumenten aussehen, ist dem Vorbild geschuldet. Die Alfa-Innenraume der 80er Jahre waren – fundamentalistische Alfisti mögen es dem Rezensenten verzeihen – billige Plastikwüsten, und streng genommen ist das Lenkrad, das Alfa seinem sportlichen Topmodell gönnte, nichts als eine Zumutung. Doch auch diese „Zumutung“ setzte Laudoracing meisterlich um, ebenso wie den „schrulligen“ Handbremsbügel. Das ganze Modell ist gekonnt, gefällt uns ausgesprochen gut. Und erneut erfreuen wir uns an der Parkscheibe, die an der Windschutzscheibe oben mittig befestigt ist. Und erneut wundern wir uns, warum sie an der Scheibenaußenseite und nicht innen angebracht ist.
afs
Steckbrief:
Laudoracing LM163 Alfa Romeo Alfa 75 1.8 I.E. Turbo Evoluzione 1987. Fertigmodell Resine, Maßstab 1:18. Auflage 999 Exemplare. Preis bei Laudoracing 129,90 Euro.