Die Spielzeugbranche in der Krise und Siku mittendrin. Im Internet kochen Gerüchte hoch, wonach auch Wiking davon betroffen sein soll. Siku selbst tut kommunikativ nichts und kommentiert die Sachlage nicht. Dabei ist das Ganze nur ein Paradebeispiel für modernen Journalismus – ein Sturm im Wasserglas. Weiter nichts…
Es gab Zeiten, das bezeichnete sich Siku in Lüdenscheid als „größten Automobilhersteller Westdeutschlands“. Das war natürlich augenzwinkernd gemeint, zeigte aber auch, welche Position der Lüdenscheider Spielzeugautofabrikant auf dem Markt hatte. Doch das ist längst vorbei. Die Tageszeitung „Die Weltplus“ meldete am 16. Oktober Turbulenzen bei Siku und schreckte die Sammler auf – vor allem die Wiking-Fraktion, denn Wiking lebt zusammen mit Siku unter dem Dach der Sieper-Werke.
Natürlich hat Siku, wie alle Mittelständler in der Spielzeugbranche, gegen die globalen Riesen zu kämpfen und hat seine Schwierigkeiten. Die Branche ist im Umbruch, die Vertriebswege sind es auch. Der stationäre Spielzeughandel geht zurück, kleine Autos werden vorwiegend in Supermärkten verkauft. Und dort stehen neben den Siku-Ständern eben auch Hot Wheels-, Matchbox- und zunehmend auch Majorette-Verkaufsständer. Wenn ein Junge im Spielzeugautoalter davor steht und vergleicht, so fällt seine Wahl heute nicht mehr unbedingt auf Siku. Siku-Miniaturen sind teurer als die Konkurrenz, teilweise auch weniger attraktiv – zumindest fehlt ihnen das Attribut, das sie für ihre Klientel, die Jungs, „cool“ macht. Passé sind die Zeiten, als Siku das automobile Spektrum auf der Straße nachbildete, Papas Passat Variant, Onkels Mondeo, den Mercedes-„Peterwagen“ – und das alles maßstabseinheitlich. Heute versucht Siku, die Konkurrenz zu imitieren, macht Supersportwagen. Aber das können Hot Wheels & Co. besser. Und die maßstäbliche Einheitlichkeit ist auch vorüber. Die Modellgrößen orientieren sich an den Dimensionen der Einheitsverpackung. Am meisten aber zieht das Preisargument: Wenn man einem Jungen sagt, er könne ein Siku-Auto oder drei Hot Wheels-Flitzer bekommen – wofür wird er sich wohl entscheiden?
Immerhin entscheidet er, der Junge, sich zunehmend wieder für jungentypisches Spielzeug, darunter auch Autos. Am Tage nach der Veröffentlichung des Siku-Beitrags in der „Weltplus“ erschien die Shell-Jugendstudie 2024 über die Werte, Gewohnheiten, Einstellungen und das Sozialverhalten der Jugendlichen in Deutschland (gibt es seit 1953 in regelmäßigen Abständen). Darin steht unter vielem anderen auch, dass Jungs sich zunehmend auf maskuline Werte zurückbesinnen, um sich gegen die politisch gewollte, vermeintliche „Übermacht“ der Mädchen zu wehren, auch gegen „weiche“ Themen wie Gendern, vegane Kost, Quoten, Feminismus. Zu den typisch männlichen Themen gehören nun mal auch Autos. Vielleicht ist das ein Lichtblick für Siku und all die anderen Spielzeugautohersteller mit Jungs im Visier. Falls ja, vielleicht kommt der Lichtblick zu spät.
Lokal und überregional: zwei Artikel, zwei Meinungsansätze
Am 6. Juli meldete „come-on.de“, Siku baue Stellen ab, schuld seien die Konsumflaute und die A45-Sperrung. „come-on.de“ ist ein Internetportal des Märkischen Zeitungsverlages in Lüdenscheid, also einer Lokalzeitung. Darin schreibt die Journalistin zwar auch über die prinzipiellen Probleme Sikus als Spielzeugautohersteller. Sie legt ihr Augenmerk aber eher auf die Verkehrssituation in Lüdenscheid. Ihr Artikel zielt darauf ab, dass ein zentrales Problem von Siku die lokale Infrastruktur sei. Seit Dezember 2021 ist die A45 zwischen den Anschlussstellen Lüdenscheid-Nord und Lüdenscheid gesperrt, weil die Talbrücke Rahmede morsch ist und ersetzt werden muss. Die Stadt Lüdenscheid muss den kompletten Fernverkehr ertragen und hat im Sommer 2023 ein LKW-Durchfahrtsverbot erlassen. Vor Mitte 2026 ist nicht damit zu rechnen, dass die derzeit im Bau befindliche Autobahnbrücke wenigstens teilweise für den Verkehr freigegeben wird. Das ewige Dauerverkehrschaos machte laut diesem Artikel einige Siku-Mitarbeiter mürbe, sie waren die An- und Abfahrtswege zu ihrem Arbeitsplatz leid und kündigten. Die Journalistin scheint mit ihrem Artikel in die Politik eingreifen und den Verantwortlichen klar machen zu wollen, dass die unmögliche Lüdenscheider Verkehrssituation langsam aber sicher die lokale Wirtschaft ruiniere. Siku wählte sie als Beispiel aus. Sie hätte ebenso gut ein anderes Lüdenscheider Unternehmen in den Zeugenstand rufen können. Diesen Artikel kann man jederzeit im Netz nachlesen. Er ist ein beredtes Beispiel modernen Journalismus’, in dem die vermeintlich objektive Darstellung einer Sachlage als Instrument benutzt wird, womit Journalisten aktiv in das politische Geschehen eingreifen wollen. Wer sich mit dieser Thematik auseinandersetzen möchte, findet im Buch „Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“ von Richard David Precht und Harald Welzer seine helle Freude. Es wurde 2022/23 in den Feuilletons und Talkshows rauf- und runterdiskutiert.
Der Beitrag in „come-on.de“ vom Juli scheint „Die Welt“ zu einem Folgeartikel animiert zu haben, der am 16. Oktober online erschien und online hinter einer Bezahlsperre verborgen bleibt. Dieser Artikel ist wesentlich differenzierter und geht auf die lokale Infrastruktur überhaupt nicht ein. Man kann ihn, ohne zu bezahlen, eben nur „an-lesen“, und dann kommt das vielfach verbreitete Misstrauen gegen „die Springer-Presse“ auf, die, vor allem in ihrer „Bild“-Zeitung, nahezu täglich gegen die amtierende Bundesregierung agiert. Der viel zu reißerische Titel „Einsam in Lüdenscheid – Siku im Überlebenskampf“ tut sein Übriges. Das Springer-Misstrauen, die Überschrift und die Tatsache, dass vor der Bezahlsperre nur ein paar Zeilen zu lesen sind, brachte die Gerüchteküche in den vergangenen Tagen zum Brodeln. In Facebook-Gruppen, in Modellautoforen und wo auch immer im Internet schaukeln sich die Allwissenden gegenseitig hoch, übertrumpfen sich im „ich-habe-es-schon-immer-gewusst“ bis zum „ich-kenne-das-Patentrezept-zur-Lösung“. Es kursieren sogar schon konkrete Daten über den Tag des Produktionsstopps bei Siku und Wiking oder gar der Betriebsschließung. Das ist natürlich völliger Unfug, ein Beleg für die Hysterie und Panik des Zeitgeistes und es nervt die Führungsetage der Sieper-Werke. Doch anstatt dies auf Nachfrage zu kommentieren, ließ uns Wiking-Prokuristin Ute Schleisiek wissen, weder sie noch die Siku-Geschäftsführung kommentierten die Artikel (deren Zustandekommen immerhin auf einem Gespräch beider Zeitungen mit einem der beiden Siku-Geschäftsführer beruht).
Interessant: Derselbe Artikel erschien bereits zehn Tage früher, am 6. Oktober, in der gedruckten Ausgabe der „Welt“. Damals unter keinem reißerischen Titel, sondern unter der gemäßigten Überschrift „Siku wird kleiner“. Aber diese Printveröffentlichung nahm die „Community“, offenkundig vorwiegend online unterwegs, nicht wahr. Jedenfalls gab es darauf keine spürbaren Reaktionen in den sozialen Netzwerken.
Mittelständler versus Konzern: weniger Verhandlungsmacht
Der Artikel in der „Welt“ trägt zwar einen reißerischen Titel, ist aber inhaltlich sehr sachlich gehalten und seriös recherchiert – er schlägt also mitnichten in die „Die-Ampel-muss-weg“- und „Die-Ampel-ist-an-allem-Übel-schuld“-Kerbe der „Bild“-Zeitung, die im selben Verlag wie „Die Welt“ erscheint. Natürlich muss man zum Weiterlesen ein Abo abschließen (ganz normal! Eine Zeitung ist ein gewinnorientiertes Unternehmen). Aber es geht auch anders. So liegen in Stadtbibliotheken auch überregionale Tageszeitungen aus, und wer einen Bibliotheksausweis hat (was nie ein Fehler ist!), hat bei manchen Stadtbibliotheken auch online Zugang zu den wichtigen deutschen Tageszeitungen.
Der „Welt“-Artikel beginnt szenisch mit netten Anekdoten im Zusammenhang mit Siku-Modellen, positioniert diese zuvorderst als Sympathieträger und zitiert den Geschäftsführer Jörg Stermann, der Sku-Spielzeugautos „herzliche Produkte“ nennt. Basis des Artikels ist ein Gespräch des Autors mit Stermann in der Firmenzentrale. Er beschreibt die Position Sikus als mittelständisches Familienunternehmen „im Haifischbecken“, in welchem sich die großen, globalen Player wie Mattel (Marken Hot Wheels und Matchbox) und Hasbro ebenso tummeln wie chinesische no-name-Produzenten, die Billigstprodukte zu unglaublichen Tiefpreisen auf den Markt werfen. Die großen Konzerne hätten eine andere Verhandlungsmacht als Siku, wenn es um Angebote in großen Supermarktketten oder Discountern gehe. Dabei schrumpfe der Anteil an haptischen Spielzeugen, also an Dingen zum Anfassen und Bewegen (kleine Autos!), zugunsten digitaler Spiele.
In Lüdenscheid produziert Siku schon lange nicht mehr. In den frühen 90er Jahren erfolgte die Produktionsauslagerung nach China, dann ab 1995 nach Polen (wo auch Wiking-Modelle montiert werden). Seit 2022 gibt es an der Lüdenscheider Schlittenbacherstraße 60 keinen Werkzeugbau mehr. In Deutschland beschäftigt Siku rund 150 Mitarbeiter in der Zentrale, dem Vertrieb und der Logistik sowie im Bereich Forschung und Entwicklung. Produziert wird in Dongguan in China sowie in Złotoryja in Polen (ehemals Goldberg in Schlesien, Wiking-Montage seit 1995, Fabrikneubau 2015). In China und Polen arbeiten rund 500 Mitarbeiter für die Marken Siku und Wiking.
Das Siku-Management will auf die Herausforderungen reagieren und spricht im „Welt“-Artikel von mehr Automatisierung auch in den Auslandswerken und einer Straffung des Produktprogramms: „Weniger Modellautos im Sortiment und weniger Neuheiten im Jahr“, wird Geschäftsführer Volker Eßmann in der „Welt“ zitiert. Und auch damit, dass die geopolitische Situation ein Umdenken in Bezug auf China erfordere. Offenbar denkt Siku an Länder wie Vietnam, Thailand, Malaysia oder Indonesien anstelle von China. Im „Welt“-Artikel werden auch Zahlen genannt: Im Jahre 2023 hätten demnach Siku 47 Millionen und Wiking 5 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet, was weniger als im Vorjahr sei und auf Vor-Corona-Niveau liege. Insgesamt hätten die Sieper-Werke rund 20 Millionen Miniaturautos im Jahr produziert, was sich auf Siku und Wiking insgesamt bezieht, 40 Prozent Exportanteil, davon 90 Prozent innerhalb Europas.
Siku ist ein Hersteller mit sehr langer Tradition, 1921 von Richard Sieper als Gießereiunternehmen gegründet, bekannt auch durch die Sieper-Badezimmer-Spiegelschränke. 1950 stieg Siku (eine Zusammensetzung aus Sieper-Kunststoff) in die Spielzeugproduktion ein, ab 1954 die bekannten Siku-Plastikmodelle im Maßstab 1:60, ab 1963 die V-Serie aus Zinkdruckguss im gleichen Maßstab, ab 1975 in 1:55. Diese Standardmodelle wandten sich immer mehr von der Modellhaftigkeit ab und wurden spielzeughafter. Seit der ersten Hälfte der 80er Jahre engagiert sich Siku zunehmend im Bereich landwirtschaftlicher Modelle in 1:32 und übernahm 1984 den Berliner Traditionalisten Wiking. Heute befindet sich das Unternehmen in vierter Generation im Eigentum der Familie Sieper, bis vor drei Jahren arbeitete mit Britta Sieper ein Familienmitglied in der Unternehmensführung.
Während aktuelle Siku-Miniaturen weniger die Sammler als vielmehr die Kinder interessieren, verursachen die aktuellen Nachrichten bei den Sammlern aktueller Wiking-Modelle natürlich Herzrasen. Dabei gibt es dafür keinen Grund. Tatsächlich ein Sturm im Wasserglas, weiter nichts… Wiking ist Bestandteil der Sieperwerke. Aber natürlich steht nirgends in Stein gemeißelt, dass dies für alle Zeiten so bleiben muss.
afs