Hundert Jahre her
Ein mythisches Auto – seiner selbst wegen, aber auch wegen des Mythos um die Tänzerin Isadora Duncan, die angeblich im Bugatti Type 35 starb. Stimmt nicht, man weiß heute, dass es ein Amilcar war. Norev hat die Bugatti-Legende im Programm, im Kaisermaßstab 1:12, und bringt zwei neue Versionen.

Hundert Jahre alt können Kakadus, Schildkröten, Muscheln und Hummer werden. Manche Menschen auch. Die Französin Jeanne-Louise Calment wurde 122 Jahre alt. Dennoch sind 100 Jahre ein ziemlich „biblisches Alter“ (was natürlich nur eine Phrase ist). Der Bugatti T35 stammt von 1925, ist 100 Jahre alt. Das ist für ein Auto mehr als biblisch, das ist nicht nur alt oder uralt, sondern mindestens doppelplusuralt (im Orwell’schen Sinne!). Gleichsam: Ist ein Auto erst mal so richtig alt, so ist die Gefahr, dass es verloren geht, eher gering. Im Museum oder in einer Privatsammlung lebt sich’s sicher. Das ändert aber nichts daran, dass die Geschichte (nicht die Technikgeschichte, sondern die persönliche Lebensgeschichte) eines hundertjährigen Autos oftmals nicht lückenlos dargestellt wird. Nicht nur, weil es 1925 noch kein Internet gab, sondern weil eben auch zwei Weltkriege und darüber hinaus so manche Unwägbarkeiten stattfanden. Natürlich weiß man, wann welcher Bugatti T35 welches Rennen gewann oder auch nicht gewann. Und Fotos gibt es auch. Aber es ist nicht genau dokumentiert, was an welchem Wagen bei welchem Rennen nun charakteristisch war. Von einem Steinmetz-Commodore von 1970 weiß man das besser. Miniaturen von Bugatti T35 Rennwagen haben stets eine Aura der Phantasie – egal, ob diese nun von CMC oder von Norev sind. Aber genau diese Aura macht sie auch sympathisch, weniger steril. Und überhaupt soll solch ein 1:12er-Bugatti von Norev eher dekorativ als authentisch sein.
Der Auslieferungszustand ist der Rennzustand
Es gibt zwei neue Norev-T35. Der eine ist so blau, wie ein Bugatti sein muss, aber doch ein bisschen anders blau als die Auflage zuvor aus dem Jahre 2020, und er trägt keine Scheinwerfer. Der andere ist ein Rennwagen. Norev selbst sagt, er zitiere einen typischen Renn-Bugatti aus der Zeit, er wolle also gar nicht authentisch sein. Was will er dann? Er will hübsch aussehen, er will gefallen (er ist also gefallsüchtig). Das gelingt ihm aus dem Effeff.
Überhaupt gibt es gar keine Rennversion des Bugatti Type 35. Der Bugatti T35 ist ein Rennwagen. Er wurde ohne Licht, ohne Kotflügel, überhaupt ohne alles, was er im Straßenverkehr gebraucht hätte, geliefert. Das wurde von den Besitzern nachgerüstet, wenn sie auf öffentlichen Straßen unterwegs sein wollten, die Scheinwerfer meist von Marchal, die Rücklichter von Scintilla. Auch eine zweite Windschutzscheibe war möglich. So wurde aus dem Renner ein Sportwagen. Die Zündung war Magnet, also weder Batterie, Anlasser noch Lichtmaschine. Bei den Rennern wurde oft das Reserverad aus Gewichtsgründen entfernt. Bei Langstreckenrennen wie der Targa Florio wurde hingegen mit zwei Reserverädern gefahren. Ein Gitter für den empfindlichen Luftröhrenkühler kam hinzu. Auf den Kühler würde die Startnummer gepinselt. Der T 35 ist quasi das Minimum eines Autos. Da kann man nichts mehr werglassen.
Der Motor war schlecht zu tunen. Es gibt keinen abnehmbaren Zylinderkopf. Der Ladedruck konnte gesteigert werden, häufig wurden auch andere Vergaser montiert. Gang und gebe war damals auch, mit Kraftstoffen zu experimentieren, so wurde beispielsweise Methanol getankt. Ebenfalls möglich war die Veränderung der Endübersetzung. Später wurden die Bremsen größer, die Reifen breiter. Vieles war möglich. Es gab eben auch mehrere Baureihen. Weil fast alles zusammenpasste, wurde viel kombiniert. So gab/gibt es nahezu keine zwei gleichen Exemplare. Auch dies ist ein Problem der Modellhersteller, die sich des T35 annehmen. Und: Es ist 100 Jahre her.
Schöne Fiktion
Der bugattiblaue Bugatti stellt also den Rennwagen im Auslieferungszustand dar, allerdings mit nachgerüsteten Rückleuchten. Scheinwerfer hat er keine, eine französische Zulassung hingegen schon. Der dunkelblaue T35 mit Startnummern ist ein fiktiver Rennwagen im Einsatz. Beide sind genau das gleiche Auto mit identischer Ausstattung, nur Farbe und Dekoration sind anders. Der Zivilbugatti trägt ein französisches Kennzeichen, der Rennbugatti keines, dafür weiße Startnummer 14 auf schwarzem Grund. Bei ihm ist die Sitzbank ebenso schwarz wie die beiden Ledergurte (aus Plastik natürlich!) um die Motorhaube und jener, der das Ersatzrad fixiert, der zivile trägt dies alles in lederbraun. Eine Schau ist der Innenraum, reduziert auf ein Minimum und beherrscht vom großen Vierspeichenlenkrad mit Holzkranz. Auf der rechten Seite natürlich, alle Bugattis tragen es dort, und alle Sportwagen dieser Zeit ebenfalls. Sehr hübsch gemacht ist das Aluminium-Armaturenbrett mit Zündmagnet in der Mitte. Schön sind auch die damals höchst innovativen Aluminiumfelgen und die frei stehenden Blattfedern. Was uns ein wenig stört, ist der satte Chromauftrag am Hufeisenkühler. Vor hundert Jahren war das galvanische Verchromen noch in der Patent- und Anfangsphase. Damalige Bugatti-Grills waren nicht verchromt, sondern vernickelt und sollten deshalb nicht so intensiv glänzen.
Was für ein Bugatti Type 35 ist das Norev-Modell nun genau? Die Serie wurde zwischen 1922 und 1927 gebaut, 2-Liter-Achtzylinder-Motor. Der Type 35A ist eine eher zivile Ausführung des Rennwagens mit 90 PS, die Typen 35B und 35C (128 bzw. 138 PS) hatten einen Roots-Kompressor, erkennbar am Loch im rechten Teil der Motorhaube (dahinter ist das Überdruckventil), welches das Norev-Modell nicht aufweist, der Type 35T verfügt über einen hubraumgrößeren Saugmotor, 2262 cm³ mit 105 PS. Diesen Typ setzte Bugatti bei der 1926er Targa Florio ein. Wir stufen also den zivilen Bugatti als Type 35A ein und die Rennsportversion als Type 35T.
afs (mit Dank an Reinhard Barthel für Recherchehilfe)


Modellfotos: bat




Foto: Reinhard Barthel
Steckbrief:
Norev 125705 Bugatti 35A 1925 bugattiblau und 125703 Bugatti 35T dunkelblau. Fertigmodelle Zinkdruckguss, Maßstab 1:12. UVP je 149,90 Euro.