Handschmeichler
Er steht im Schatten des 911ers. Völlig zu Unrecht! Nicht nur, dass der Porsche 911, die Porsche-Ikone schlechthin, konstruktiv und evolutionär auf seinem Vorgänger 356 aufbaute. Der Porsche 356 an sich war einfach ein fantastischer Wagen. Er begründete den ausgezeichneten Ruf des Hauses, er war der schnellste deutsche Serienwagen der 50er Jahre, ein Rallye-Ass, eine Rundstrecken-Legende, die Dominanz der Bergrennen, er war faszinierend, ganz einfach ein Objekt der Begierde. Kein deutscher Nachkriegswagen weist derart sinnliche und betörende Rundungen auf wie der Porsche 356. Genau diese Faszination fängt das Norev-Modell ein, ein frühes 356 Coupé und ein gnadenloser Speedster.
Ihm über den Rücken streicheln – man sollte es nicht tun, der Fingerabdrücke wegen. Aber seine Form fordert es geradezu, ihn anzufassen. Ein guter Porsche 356 in 1:18 ist ein Handschmeichler. Völlig ohne Kanten, überall weich, fließend, und seine Oberfläche passt sich der Anatomie der Hand an. Das ist der ultimative 356-Test. Wer ihn besteht, ist ein formal gelungener 356. Das Norev-Modell besteht den Handschmeichler-Test. Und die Hand, die ihm geschmeichelt hat, darf danach seinen Lack wieder polieren. Was das Schmeicheln fast noch potenziert.
Einen 356er braucht man im Programm, als seriöser Hersteller mit breitem Portfolio. Er verkauft sich immer gut. Er steht heute im Schatten des übermächtigen Elfers, wird von den Elfer-Jüngern als Steigbügelhalter ihrer Ikone verklärt, aber eben auch dazu degradiert. Er ist für sie nicht mehr als der Weg zu ihrem Desiderata. In Wahrheit ist er mehr. Und in Wahrheit hätte es ohne den 356 nie einen 911 gegeben. Und dann wäre die automobile Welt wirklich ärmer geblieben. Die meisten 356-Miniaturen stellen eher späte Typen dar, 356 A oder 356 B, wobei letzterer eine so weite Evolution erlebte, ohne seinen Buchstaben zu wechseln, dass man von zwei Typen sprechen kann, dem Technischen Programm Nummer 5 und Nummer 6. Dann kam der 356 C, der eigentlich keinen neuen Buchstaben verdient hätte, denn er ist ein 356 B T6 mit Scheibenbremsen und anderen Felgen. Lange 17 Jahre wurde der Porsche 356 gebaut, bis 1965. Die ersten entstanden in manueller Kleinserie im österreichischen Gmünd. Professionalität kam erst in Stuttgart ab 1950 auf, quasi die Neukonstruktion des gleichen Autos, kein Karosserieteil blieb identisch zum Gmünder Porsche.
Der Porsche 356 wurde quasi zwei Mal konstruiert
Der erste in Stuttgart fertig gestellte Porsche 356 entstand im Januar 1950. Die erste Serie, gebaut bis Anfang 1952, trägt eine geteilte, schwarz umrandete Windschutzscheibe. Je mehr Porsche 356 ausgeliefert wurden, desto mehr zeigten sich praktische Nachteile im Alltagsbetrieb, die zum Modelljahr 1952 (ab April 1952) abgestellt werden sollten. Gleichsam lassen Details technischer wie optischer Natur nicht unbedingt den Rückschluss zu, welchem Modelljahr genau ein früher Porsche 356 zuzuordnen sei. Änderungen flossen in die Serie ein, nicht abrupt als modell- oder jahrgangsspezifische Kombination. Das Modelljahr 1952 ist von vorne und hinten sofort identifizierbar: Die zweigeteilte Windschutzscheibe mit dem Mittelsteg gehört der Vergangenheit an. Die ’52er Porsche haben eine einteilige, mittig geknickte, also keilförmige Frontscheibe, die so genannte Knickscheibe, nunmehr von einem Chromrahmen eingefasst. Außerdem verfügen sie vorne und hinten über neue Stoßfänger, weniger in die Karosserie integriert als bisher. Sie tragen aber noch keine Hörner.
Eine Kanone war der 1,5-Liter-Motor im Porsche 356, 60 PS stark. Mit dem 1500er-Motor war der Porsche ein Vollblutsportwagen geworden. Höchstgeschwindigkeit 170 km/h, entspanntes Autobahn Fahren bei Tempo 150 oder 160 – das war unerhört am Anfang der 50er Jahre. Ab Oktober 1952 lieferte Porsche den 356 des Modelljahrs 1953 aus. Die Stoßstangen erhielten Hörner, analog der bisherigen USA-Exportversion.
Zum Modelljahr 1954 erweiterte Porsche sein Modellprogramm: Nach dem Coupé (im Porsche-Jargon: Limousine) und dem Cabriolet war die dritte Karosserievariante zunächst ausschließlich für den USA-Export gedacht: Im September 1954 debütierte der 356 Speedster. Er erschien auf Anraten des Porsche-US-Importeurs Max Hoffman und war eigentlich eine Billigvariante. Primitives Verdeck, Steck- statt Kurbelfenster, aufgesetzte, niedrige Windschutzscheibe, keine Luxusattribute, weniger Geräuschdämmung, Schalensitze statt Liegesessel. Die später auch für andere 356-Modelle als Option lieferbare Seitenzierleiste war des Speedsters Charakteristikum. Hoffman wollte den knackigen britischen Roadstern auf dem US-Markt etwas Adäquates entgegensetzen. Die Magerausstattung sorgte für weniger Gewicht (minus 45 Kilo), eine kürzere Übersetzung der oberen Gänge brachte mehr Temperament, und obendrein war der Speedster in den USA der preiswerteste Porsche. Es gab ihn als 1500er mit 55 oder 70 PS. Im Folgejahr 1955 war der Speedster auch in Europa lieferbar. Er nahm den verlängerten Haubengriff und die Chrom/Gummileiste am Türschweller voraus, was später vom 356 A übernommen wurde.
Ein Porsche wollte gehört werden
Zum Modelljahr 1954 änderte sich die Front erneut. Die Blinker blieben direkt unter den Scheinwerfern, wurden jedoch von einem Chromring eingefasst, der mit dem neu eingeführten Hupengitter verbunden war. Dahinter verbargen sich lautstarke Bosch-Fanfaren. Ein Porsche wollte gehört werden. 1955 gab es nur eine optische Veränderung, erneut einen neuen Haubengriff, nunmehr mit Porsche-Emblem. Ihn trägt der Norev Speedster. Also ist er ein 1955er Exemplar.
Und was für ein Baujahr ist nun das Norev-Coupé? Norev selbst kündigte das schwarze Modell als 1952er und das dunkelgrüne als 1954er Baujahr an. Ausgeliefert wurden beide (sowie das limitierte silberne Coupé, das es nur online bei Norev zu bestellen gibt) dezidiert als 1954er Baujahr. Stimmt das? Das Hupengitter spricht dafür, aber das Coupé müsste die 1952 eingeführten Stoßstangenhörner haben. Also ist das Norev-Coupé entweder ein 1952er Modell mit falschen Hupengittern oder ein 1954er Modell mit fehlenden Stoßstangenhörnern. Man kann es sich aussuchen. Am Speedster stimmen alle Details.
Freilich ist diese Nietenzählerei kleinlich, und zugegebenermaßen ist es schwierig, einen 356er korrekt zu recherchieren. Manche Änderungen flossen in die Fließbandserie ein und sind nicht an einem speziellen Produktionsdatum festzumachen. Aber die Affaire Hupengitter/Stoßstangenhörner umfasst eine Entwicklungszeit von zwei Jahren… Gleichsam: Wem fallen solche Unkorrektheiten schon auf? Wer stört sich daran? Störenswert wären formale Fehler, eine gestörte globale Erscheinung. Genau hier punktet der Porsche, egal ob Coupé oder Speedster. Ein exakt dimensionierter und proportionierter Prachtkerl ist er, und diese zarten, weichen und schwierig zu fassenden Rundungen hat Norev perfekt getroffen. Auch die Details stimmen und sind aufwändig umgesetzt: Alle Chromteile beim Coupé separat eingesetzt (lediglich beim Speedster sind die Flanken- und Schwellerzierleisten Druckwerke), die Schriftzüge heißgeprägt, die Scheibenumrahmungen chrombedampft. Innen schönes Lenkrad und Schaltknauf in Weiß, das Armaturenbrett in Karosseriefarbe, was beim roten Speedster besonders ins Auge sticht, bei dem es obendrein mit einem goldenen „Porsche“-Schriftzug geschmückt ist. Der Fußboden ist jeweils schwarz, die Coupé-Interieurs hell, im Speedster schwarz, dort Schalensitze. Die Felgen sind identisch, jedoch silbern lackiert beim Speedster und in Karosseriefarbe bei den Coupés, jeweils mit „Moon Caps“ versehen, wie weiland der VW Käfer, aber natürlich ohne eingeprägtes VW-Zeichen. Die Farben: Das Schwarz namens Reuter 501 gab es während der gesamten 356-Zeit, passt also. Das dunkle Grün heißt Palmgrün (intern: Reuter 526) und war zwischen 1950 und 1953 Bestandteil der Porsche-Farbpalette, also beim 1954er Modell knapp daneben, und das knallige Rot nannte Porsche Signalrot (Reuter 601), passt genau zum 1955er Speedster.
An einen AUTOart-356er kommt das Norev-Modell ohne Öffnungsfunktionen, aber lenkbar, niemals heran (zumal auch dieses nicht ganz fehlerfrei ist!), aber die Solido-Interpretation überflügelt der Norev bei weitem – ein gediegenes, seriöses Modellauto in einer Lackqualität, die man fast schon als „wet look“ bezeichnen kann: Der Lack glänzt so unverschämt, als sei er nass!
afs
Foto: Archiv afs
Steckbrief:
Norev 187451 Porsche 356 Coupé 1954 schwarz, 187453 dito dunkelgrün, 187461 Porsche 356 Speedster 1956 rot. Fertigmodelle Zinkdruckguss, Maßstab 1:18. UVP je 69,90 Euro.