Original und Reinkarnation
Mit dem Concept R5 Turbo zitiert sich Renault selbst und versucht den Spagat, eine Verknüpfung des modernen Elektroautos mit der eigenen Tradition herzustellen. Norev fährt im Zuge des momentanen R5-Fiebers in Frankreich zweigleisig und bringt sowohl das moderne Concept Car als auch zwei Vertreter des zeitgenössischen Rallyeautos.
Jetzt nehmen wir mal an, der Renault Maxi 5 Turbo sei ein Buddhist oder ein Hindu gewesen. Dann glaubte er, seiner Exkarnation (also seinem Tode) würde eine Reinkarnation (also Wiedergeburt) folgen. Abwegig? Die Zugehörigkeit zu den beiden Religionen sicherlich. Aber dass dem Maxi 5 Turbo in Form des Concept R5 Turbo 3E knapp 40 Jahre nach seinem Ableben eine Art Klon erwachsen ist, ist keineswegs abwegig, sondern Tatsache. Um das noch lange nicht allgemein estimierte Elektroauto salonfähig zu machen, sind Retro-Anleihen ein probates Mittel. Denn Tradition ist ein Zeichen für Kompetenz. Wo Tradition fehlt, wird die Abwesenheit von Kompetenz unterstellt (das Grundproblem eines jeden Start-ups übrigens!). Also muss Tradition künstlich erschaffen werden. So einfach ist das. Zudem wird dadurch der Eindruck vermieden, das Elektroauto sei eine völlig andere Art der Mobilität als der Verbrenner. Diesen Anschein versuchen manche Autohersteller zu vermitteln, deren Elektroautos so ganz anders aussehen als ihre herkömmlichen Fahrzeuge (beispielsweise Mercedes mit seiner EQ-Reihe), was sich als absoluter Fehlgriff herausgestellt hat.
Frankreich ist derzeit im Renault-5-Fieber. Der Elektro-R5 als „bezahlbarer“ Stromer feiert seinen fröhlichen Einstand in die Elektroautowelt, und Renault wird nicht müde, den Bezug zum originalen R5 (1972 bis 1984) herzustellen – nach dem Motto: „Seht her, der Elektro-R5 steht in einer geliebten Tradition, ist gar nicht progressiv, sondern weckt vielmehr warme Retrogefühle.“ Die Strategie könnte aufgehen. Norev feiert mit, bringt einen neuen und alten R5 nach dem anderen. Nun kommen zwei weitere Versionen des originalen Maxi 5 Turbo Rallyewagens (Tour de France 1985 und Rallye du Var 1986) sowie der R5 Turbo 3E als elektrisches Concept Car von 2023 in neuer Farbe.
Aus dem Concept Car soll, nach Abschluss der Typprüfung, eine auf 1980 Exemplare beschränkte Sonderserie werden, 540 PS stark, 270 km/h schnell, nullhundert in 3,5 Sekunden, und die Stückzahl der Limitierung bezieht sich auf das Präsentationsjahr des Originals 1980. Renault spricht von Race-Fahrmodus und Drift-Assistent-Funktion und vor allem vom Turboantrieb. Porsche nennt seine Elektrofahrzeuge auch weiterhin „Turbo“. Das ist nicht nur Fake, sondern auch eine Veräppelung jener Kundschaft, die von Technik wenig weiß. Turbo und Elektro schließen sich gegenseitig aus wie Louis Vuitton und Jack Wolfskin. Der Turbo 3E nimmt deutliche Designanleihen am Maxi 5 Turbo, supersportlich, extrabreit, 20-Zoll-Felgen, und dass der Ladeanschluss in einer seitlichen Luftzufuhröffnung versteckt ist, klingt fast wie Hohn. Wer sich darüber echauffiert, darf sich darüber freuen, dass das Norev-1:43-Modell im Fachhandel 38 Euro kostet, in identischer Aufmachung direkt bei Renault hingegen 45 Euro zu bezahlen sind.
Nur stark auf Asphalt: Gruppe B mit Heckantrieb
Bei den zeitgenössischen Originalen allerdings kalkuliert Renault günstiger als den offiziellen Fachhandelspreis, also die UVP, in Höhe von 36 Euro und nimmt nur deren 30. Neu sind zwei formidentische Fahrzeuge in unterschiedlicher Dekoration. 1986 tat sich der Maxi 5 Turbo schwer, denn er war der letzte heckgetriebene Rallyewagen, der um den Sieg kämpfte, inmitten eines Rudels allradgetriebener Gruppe-B-Boliden. Umso stolzer ist Renault, wenn ein Maxi 5 Erfolg hatte – was ihm nur auf Asphalt, aber nie auf Eis und Schnee gelang. Die Rallye du Var war nicht nur Teil der französischen Rallyemeisterschaft, sondern zwischen 1984 und 2001 auch der europäischen. Sie wird traditionell im Spätherbst veranstaltet, rund um Sainte-Maxime im Département Var, wo die französischen Seealpen an die Côte d’Azur stoßen. Die Rallye ist eine reine Asphaltveranstaltung, wo die Allradler ihren Vorteil nicht ausspielen können und der Maxi 5 seine Tugenden beweisen konnte. 1986 siegten François Chatriot und Michel Périn in einem von Diac gesponserten Werkswagen, und beim Betrachten der Ergebnisliste ist interessant, dass bei dieser (durchaus international ausgeschriebenen) Rallye ausschließlich französische Fahrer ins Ziel kamen; die wenigen gemeldeten Ausländer fielen alle aus.
Der zweite Maxi 5 Turbo von Norev beteiligte sich 1985 an der Tour de France Automobile 1985, 800 Asphalt-Kilometer zwischen Paris und Nizza im September 1985. Mit seinem blau-roten Renault-Werkswagen, gesponsert von Elf und Philips-Autoradios, gewann Jean Ragnotti mit seinem Co Pierre Thimonier mit neun Minuten Vorsprung auf einen Porsche 911 SC RS, und auch dies war wieder eine innerfranzösische Angelegenheit. Es war die vorletzte Tour de France Automobile. Das legendäre Straßenrennen entsprach nicht mehr den Sicherheitsstandards, 1986 fand mit der 50sten gleichzeitig die letzte Ausgabe statt. Und auch diese gewann der Maxi 5 Turbo, nunmehr jener François Chatriot, dem wir als Sieger bei der Rallye du Var soeben begegnet sind. Deutsche Rallye-Fans dürften ihn eher als Prodrive-Fahrer eines BMW M3 E30 kennen, worauf er 1989 und 1990 französischer Rallye-Meister wurde.
afs


Modellfotos: bat


Steckbrief:
Norev 517965 Renault Concept R5 Turbo 3E 2023 blau/rot/weiß. Norev 510620 Renault Maxi 5 Turbo Tour de France Automobile 1985 (Sieger Jean Ragnotti, # 1) und 510621 dito Rallye du Var 1986 (Sieger François Chatriot, # 1). Fertigmodelle Zinkdruckguss, Maßstab 1:43. UVP 38 Euro (Concept) bzw. 36 Euro (Rallye).