Der Škoda, der ein LIAZ ist
Für DDR-Bürger ein alter Bekannter, den wiederzusehen Freude bereitet. Für 1:87-Sammler die absolute Selbstverständlichkeit. Neu allerdings im 1:43-Kosmos: Premium Classixxs bringt den legendären Škoda 706 RT und MT als Sattelzugmaschine mit Orličan-Kühlsattelauflieger in zwei Versionen. Vor allem im Deutrans-Livrée weckt er nostalgische Gefühle.
Einfalt ist nicht das Gegenteil von Vielfalt. Das Wort Monotonie trifft es eher. Das automobile Straßenbild im Ostblock war sicherlich nicht absolut monoton. Es gab interessante Exoten aus Ost und West auf östlichen Straßen. Und doch existierten Fahrzeugklassen, die pro Ostblockstaat von nur einem Fahrzeugtyp abgedeckt wurden – und letztlich entsprach genau das dem zumindest theoretisch rationellen Planwirtschaftsdenken. Manchmal galt dies nicht nur für ein Ostblockland alleine, sondern für viele Ostblockländer, also eine ganze Region. Hier wurde Plänen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) gefolgt, der vorsah, dass spezielle Fahrzeuge am besten aus einem einzigen sozialistischen Land kommen und in alle Ostblockstaaten geliefert werden sollen. Der Škoda-Laster ist so einer. Über 30 Jahre lang wurde er gebaut, von 1957 bis 1988 (als 706 RT bis 1966, danach als 706 MT), und in der mittelschweren Tonnageklasse war er schlichtweg omnipräsent in seiner Heimat ČSSR, ebenso in Polen, Ungarn und natürlich in der DDR. Auch in anderen, kleineren Ostblockländern westlich der Sowjetunion. Dortselbst nahezu nicht. Die Sowjets wollten zwar, dass sich ihre Satellitenstaaten in der Fahrzeugproduktion untereinander koordinierten. Aber sich selbst nahm die UdSSR aus. In Sachen Automobil war die Sowjetunion weitgehend ein Selbstversorger.
Ein Lastwagen, der „Trambus“ genannt wird
Neu von Premium Classixxs ist der Škoda 706 RTTN beziehungsweise LIAZ 706 MTTN als Sattelzugmaschine mit Kühlkofferauflieger von Orličan, Typ N12CH. Ersterer heißt zwar Škoda, ist aber auch ein LIAZ. Denn LIAZ war seit seiner Gründung 1951 stets „nur“ die Nutzfahrzeugabteilung von Škoda, die LIAZ-Fahrzeuge wurden als Škoda vermarktet. Erst ab 1974 durfte LIAZ sie unter eigenem Namen anbieten. Der Škoda 706 RT wurde also von LIAZ in Jablonec nad Nisou (= Gablonz an der Neiße) in Nordböhmen gebaut, basiert technisch auf dem Vorgänger, der ein Haubenlastwagen war, trug aber ein neu entwickeltes und recht geräumiges Frontlenkerfahrerhaus, nicht kippbar, angetrieben von einem 12-Liter-Sechszylinder-Diesel mit 160 PS, stets Trilexfelgen. Die Tschechen nannten ihn, seiner Frontlenker-Bauweise wegen, „Trambus“. Die Sattelzugmaschinen hatten ein verlängertes Fahrerhaus mit vier Sitzplätzen. In der DDR war er sofort ein „Bestseller“, nachdem die DDR in typisch (ost-) deutschem Gehorsam die RGW-Pläne als erste umgesetzt und die eigene Lastwagenproduktion in dieser Tonnageklasse beendet hatte. Insgesamt exportierte ihn Škoda in 57 Länder, große Stückzahlen gingen nach Südamerika, in den Nahen Osten und nach China. Schon als er Ende der 50er Jahre erschien, gehörte er wohl zu den schönsten Trucks (und dies auf internationaler Ebene), heute wird er von seinen Anhängern als Designikone verehrt. Beispielsweise bei Freiwilligen Feuerwehren werden Škoda 706 RT und MT bis heute gehegt.
Beide Fahrerhausvarianten, alt und neu
Premium Classixxs macht beide Fahrerhausvarianten, die sich optisch nur im Kühlergrilldesign unterscheiden – also den Škoda mit Querstrebe im Grill (die neutrale Version in blau/weiß) und den LIAZ mit vereinfachtem Grilldesign und mit neuen Sechszylindermotoren ab 1966 (die Deutrans-Version), nunmehr 210 PS stark und mit neuer Hinterachse. Und weil das Deutrans-Modell den Namen LIAZ trägt, ist sein Vorbild noch jünger, nämlich nach 1974 gebaut. Beide ziehen einen aus Aluminium gefertigten Einachs-Kühlauflieger Typ N12CH des Herstellers Orličan, die Seitenflächen geriffelt, an der Stirnseite das Kühlaggregat. Orličan, 1935 gegründet, war und ist ein Sportflugzeughersteller, und während der Zeit der Verstaatlichung baute die Firma, basierend auf ihrem Knowhow in Sachen Leichtbau, auch Sattelauflieger aus Aluminium.
Premium Classixxs ist seit 2012 eine Marke von Model Car World. Unter diesem Namen werden unterschiedliche Modellautotypen vertrieben, so 1:18-Resine- und Zinkdruckgussmodelle und hauptsächlich 1:43-Nutzfahrzeuge (und Straßenbahnen) vorzüglich aus dem ehemaligen Ostblock. Konstruiert werden diese von Start Scale Models aus dem russischen Kostroma, gefertigt in China, und Model Car World gibt spezielle Versionen in Auftrag, die unter dem hauseigenen Label Premium Classixxs angeboten werden. Der Škoda/LIAZ hat ein Fahrerhaus aus Zinkdruckguss, der komplette Rest ist aus Kunststoff. Der hohe Kunststoffanteil macht das Modell überraschend leicht. Aber, wir wiederholen es oft und gerne, Gewicht ist kein Qualitäts- oder Preisindikator bei Modellautos (bei Goldbarren schon). Was von Start Scale Models unter dem Label Premium Classixxs erscheint, sind 1:43-Modellautos bester Güte, und beim Betrachten wünscht sich der Sammler, alle anderen 1:43-Laster, vor allem jene von Ixo, wären ebenso schön, so detailliert, so akkurat, so liebevoll gestaltet.
Das Modell besticht durch sehr feine Details wie mehrfarbiges Interieur, dekoriertes Armaturenbrett, elfenbeinfarbenes Lenkrad, grazile Außenspiegel, Fotoätz-Scheibenwischer, sämtliche Leuchten extra eingesetzt, gut strukturierte Trilex-Felgen, Reifen mit authentischem Profil, klasse gemachte Ersatzrad-Halterung an der Zugmaschine, die Zweifarblackierung ist kantengenau abgesetzt und hat eine super Oberfläche. An diesem Modell finden wir keine Kritikpunkte!
Der neutral gehaltene 706 RTTN mit alter Front hat einen unbedruckten Kühlkofferauflieger, lediglich das Orličan-Logo in Golddruck ist verewigt. Weit aufwändiger dekoriert ist die Deutrans-Version, die obendrein nostalgische Gefühle bei Ostdeutschen weckt. Deutrans-Logo auf den Türen der Zugmaschine sowie, weit größer, auf den Flanken des Aufliegers und auf beiden Hecktüren, seitlich zusätzlich in Großbuchstaben „VEB Kombinat Deutrans“.
Die Deutrans ist weit älter als die DDR
Wer meint, Deutrans sei eine reine DDR-Angelegenheit, irrt. Als Deutsch-Russische Transport-AG (Derutra) wurde die Firma schon 1921 gegründet, ein Gemeinschaftsunternehmen der sowjetischen Handelsgesellschaft Stamonjakav und der deutschen Hapag – ein Ergebnis des Vertrages von Rapallo, in dem die damaligen demokratischen Deutschen und die sowjetischen Russen ihre wechselseitigen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg diplomatisch und wirtschaftlich normalisierten. Schon damals ging es den Deutschen darum, billiges Erdöl aus Russland zu bekommen, um vom Westen unabhängiger zu sein. Die Sowjets interessierten sich für deutsche Industrieanlagen. Und die Grenzen sowie die ganze Existenz Polens spielte ebenfalls eine Rolle im Rapallo-Vertrag. Die Derutra erledigte als Spediteur nach dem Zweiten Weltkrieg die komplette Entführung westlicher Industrieanlagen in die Sowjetunion (unter anderem die Produktionsanlagen des Opel Kadett, der in Moskau zum Moskvitch wurde). Aus der Derutra wurde 1950 die Deutsche Spedition, welche den Verkehr von der DDR ins kapitalistische Ausland übernahm, 1954 Umbenennung in Deutrans. Die Deutrans hatte hauptsächlich den Škoda 706, weil die DDR keine Schwerlastwagen mehr baute, aber auch westliche Fahrzeuge, vorzüglich Volvo-Typen, die über Kompensationsgeschäfte angeschafft wurden.
Die Deutrans mit ihren orangefarbenen Lastwagen (Pastellorange RAL 2003) war auch auf westdeutschem Gebiet tätig, unterbot hiesige Preise und war somit als Subunternehmer westdeutscher Fuhrunternehmer begehrt – und von der Konkurrenz geächtet. Nach der Wende 1989, nunmehr ohne ostdeutsche Privilegien versehen, konnte die Deutrans keine Dumpingpreise mehr anbieten, wurde von der existenten LKW-Lobby bekämpft und schließlich 1992 abgewickelt. Ihre gut ausgebildeten Fahrer wurden von westdeutschen Spediteuren gerne eingestellt. afs
Steckbrief:
Premium Classixxs 47167 LIAZ (Škoda) 706 MTTN mit Kühlkofferauflieger Typ Orličan N12CH „Deutrans“ 1974 orange/blau/silber und 47168 Škoda 706 RTTN mit Kühlkofferauflieger Typ Orličan N12CH blau/weiß. Fertigmodelle Zinkdruckguss (Fahrerhaus)/Kunststoff, Maßstab 1:43. UVP je 99 Euro.