Er schuf das moderne Rolls-Royce-Design – Ein Nachruf auf Ian Cameron
Ian Cameron, der ehemalige Chefdesigner von Rolls Royce, ist tot. Nicht des Alters wegen, keine Krankheit raffte ihn dahin. Er wurde ermordet. Wir blicken auf sein Wirken und auf die Cameron-Rolls-Royce en miniatur. Unser Nachruf entstand nicht nur am Schreibtisch. Der Caramini-online-Redakteur arbeitete als Designer mit Ian Cameron zusammen, kannte ihn persönlich, hatte privaten Umgang mit ihm, mochte ihn. Somit entstand Martin Hannigs Beitrag „with bitter fingers“.
Ian Cameron wurde im eigenen Hause Opfer einer brutalen Messerattacke. Die Welt des Autodesigns und alle, die ihn kannten, sind geschockt und trauern mit seiner Witwe, der Familie und den vielen Weggefährten, die mit ihm über viele Jahre unterwegs sein durften. Sie alle liebten und schätzten ihn für seine außerordentliche Expertise und vor allem für seine menschliche Art und Zuneigung. Er wurde 74 Jahre alt. Die Katastrophe für seine Familie kann keiner ermessen. Worte fehlen, große Trauer bleibt. Der Verfasser dieser Zeilen ist auch deshalb persönlich so betroffen, weil er als junger Designer von 1985 bis 1992 bei Iveco in Ulm und Turin mit Ian Cameron eine intensive, lehrreiche und für alle weiteren Berufsjahre prägende Zusammenarbeit genießen durfte.
Aber es ist eben nicht „nur“ der Tod. Es ist ein Mord! Nicht im „Tatort“, sondern im realen Leben. Man weiß, dass es das gibt, man liest davon immer wieder. Es ist schlimm, aber es ist doch zumeist weit weg. Doch die unmittelbare Vorstellung, der Mord an einem Weggefährten, ist bestürzend. Dabei fasst einen der Gedanke noch besonders an, dass Ian Cameron im eigenen Hause in Herrsching am Ammersee überfallen und ermordet wurde. Die emotionale „immediate response“ oszilliert zwischen Schrecken, Fassungslosigkeit und Wut. Es gibt Dinge, für die ist der Normalmensch einfach nicht konstruiert…
Die Redaktion von Caramini beschäftigt sich in der Regel mit den erfreulichen Seiten des Sammelns von Modellautos und beleuchtet dabei ausführlich die wissenswerten Hintergründe der Originale und ihrer Protagonisten. Das wollen wir, bei aller Trauer um Ian Cameron (der übrigens nicht mit dem gleichnamigen, ehemaligen britischen Premierminister verwechselt werden darf!) nicht vergessen. Dieser Beitrag ist eine, ist unsere Hommage an Ian Cameron (26. März 1950 bis 12. Juli 2024). Nach seinem Studium am Royal College of Art in London arbeitete er bei Pininfarina in Turin und ab 1981 bei Iveco in Ulm als Chief Designer. Nach seinem Wechsel zu BMW 1992 entstanden dort unter seiner Leitung die vierte Generation des 3er BMW, beim Z8 war er unter Chris Bangle Projektleiter und nach der Übernahme von Rover betreute er den Generationswechsel beim Range Rover (Typ L322, 2003 bis 2012). Sein größtes Projekt aber war der Aufbau und die Gestaltung einer völlig neuen und von der BMW-Welt unabhängigen Identität der zukünftigen Rolls-Royce-Produkte – nachdem BMW die Rechte am Namen Rolls-Royce gekauft hatte und in Folge die beiden Marken Rolls-Royce und Bentley völlig voneinander getrennt wurden. Der Phantom VII war das durchaus spektakuläre (wenn auch nicht unumstrittene) Ergebnis und der Start in diese neue Ära. Bis heute prägt er erfolgreich die Designsprache des Herstellers. Cameron zeichnete die Limousine sowie Coupé und Cabriolet, danach entwarf er den kleineren Rolls-Royce Ghost.
Ian Cameron ging 2012 in den Ruhestand, sein Nachfolger als Rolls-Royce-Designchef wurde Giles Taylor. Cameron war mit einer Deutschen verheiratet, Verena Kloos war Chefin des BMW-Designberatungsunternehmens „Designworks“ in Kalifornien. Als Ruheständler widmete er sich den historischen BMW-Fahrzeugen als Markenbotschafter und Cameron gründete mit seiner Expertise ein Design-Beratungsbüro. Er war ein gern und oft gesehenes Jury-Mitglied bei renommierten Klassiker-Veranstaltungen in aller Welt wie dem Concorso d’Eleganza Villa d’Este am Comer See und dem Pebble Beach Concours d´Elegance in Kalifornien.
Der Mörder ist übrigens mittlerweile gefasst, ein 22jähriger Serbe, der sich nach der Tat nach Paris abgesetzt hatte. Die Polizei versucht nun, das Tatmotiv zu ermitteln, denn der Serbe raubte nichts, sondern stach unvermittelt mit dem Messer zu. Laut Bild-Zeitung schließt die Polizei einen Auftragsmord nicht aus. Möglich ist auch, dass es der Serbe auf die Bestückung von Camerons Garage abgesehen hatte, worin sich automobiles Kulturgut befand, darunter ein Mercedes Pagoden-SL. Vielleicht verweigerte Cameron die Herausgabe von Schlüsseln und Papieren und musste deshalb sterben.
Camerons Rolls-Royce in der Vitrine: Mehr als erwartet
Die Rolls-Royce in Camerons Designsprache sind der Phantom VII (2003 bis 2017) als Limousine, Drophead Coupé (= Cabriolet) und Coupé sowie der Ghost (2009 bis 2020). Von drei der vier Fahrzeuge (nicht vom Phantom Coupé) schuf Kyosho 1:18-Miniaturen in herausragender Qualität, ganz exquisite Miniaturen, und ein immer wieder thematisiertes und bemerkenswertes Detail an der Phantom Limousine ist der herausnehmbare, in der hinteren Türverkleidung versteckte Regenschirm. In immerhin 16 unterschiedlichen Farbvarianten, teilweise äußerst wilde Kombinationen, produzierte Kyosho den 18er-Phantom in den vergangenen 20 Jahren, und immer wieder kommen neue Versionen hinzu! Den offenen Phantom realisierte Kyosho überdies im kaiserlichen Maßstab 1:12. Es ist der pure Zufall, hat aber traurige Aktualität, dass Kyosho jüngst die Phantom VII Limousine neu aufgelegt hat, sodass sie momentan in drei Farbvarianten über den Importeur Minichamps verfügbar ist (schwarz, weiß, silver over black).
Auch in 1:43 war und ist Kyosho mit sämtlichen modernen Rolls-Royce vertreten, hat aber Mitbewerber: Der erste, der einen Phantom auf den Markt brachte, war der chinesische Resine-Hersteller CMR, und dann gab es noch eine Stretchlimousine aus Resine von PT Models, auch aus China. Des Cabriolets nahm sich auch ATC an, ebenfalls Resine, ebenfalls China, aber mit der Besonderheit zu öffnender Türen. ATC-Modelle gehören zu den wenigen 1:43-Resine-Modellen mit beweglichen Türen, aber sie zeichnen sich, trotz dieses Gimmicks, stets dadurch aus, unter gewaltigen formalen Mängeln zu leiden. Alle chinesischen Resine-Modelle kamen ohne Lizenz auf den Markt.
Das Phantom Coupé fand Gefallen bei True Scale Miniatures (TSM), auch Resine, auch made in China (aber lizensiert!). Den Phantom in seinen drei Karosserievarianten miniaturisierte Ixo als Diecast-Fertigmodelle, und das Cabriolet machte auch Minichamps (als einen der wenigen Rolls-Royce im Programm, Minichamps konzentrierte sich eher auf Bentley). Weit weniger Begeisterung bei den Modellautoherstellern löste der Rolls-Royce Ghost aus. Neben dem erwähnten 18er in acht Farbvarianten machte Kyosho auch einen 43er aus Zinkdruckguss, die Interpretation von TSM ist aus Resine. Wir können nicht alle modernen Rolls-Royce zeigen, aber etliche davon. Damit wird Ian Camerons Lebenswerk natürlich nicht komplett en miniature präsentiert, es fehlen seine BMW- und Iveco-Schöpfungen. Aber wir wollen das Niveau halten, und ein Dreier-BMW wirkt neben einem Rolls-Royce schlichtweg deplatziert (und umgekehrt genauso!). Außerdem waren wir genug damit beschäftigt, die Rolls-Royce herauszusuchen und aus ihren Schachteln zu schrauben. Immerhin ist uns, so ganz nebenbei, auch ein Iveco Euroclass Reisebus in die Finger gekommen. Und wie ein Dreier-BMW oder ein Z8 aussieht, weiß ja ohnehin jeder.
mh