Das unbekannte Wesen (1): Kurogane
Optik und Charakter sind häufig nicht deckungsgleich. Auch bei Autos nicht. Genau dieses Spannungsfeld macht den Kurogane einmalig: Er sieht aus wie ein neckischer 30er-Jahre-Roadster und ist in Wahrheit ein harter und zäher Militärgeländewagen. In Europa kennt kaum jemand den Kurogane. Zeit, das zu ändern. Zumal es interessante Miniaturen gibt.
Der Zweite Weltkrieg in Deutschland und Europa, seine Ursachen, sein Verlauf und seine Folgen, wurde in der Schule rauf- und runter behandelt. Vom Zweiten Weltkrieg in Japan, damals Verbündeter des Deutschen Reiches, wissen die Europäer außer den Schlagwörtern Hiroshima und Nagasaki nichts. Das stand nie auf dem Lehrplan. Für die Japaner hingegen ist dieser Teil ihrer Geschichte wichtig (und der europäische weit weniger interessant).
Militärgeländewagen gab es in der Kaiserlichen Japanischen Armee ebenso wie in der deutschen, und dem Volkswagen Kübelwagen entsprach, in Bezug auf die Wertigkeit, der Kurogane. Ihn kennt hierzulande niemand, und wer ihn erstmals erspäht, auf Fotos oder als Miniaturauto, muss wohl lächeln. Denn er sieht aus wie ein Comicauto. Man fühlt sich an den offenen Zweisitzer mit „Schwiegermuttersitz“ von Donald Duck erinnert oder an Noddy’s Car, das manche zu Kinderzeiten als Corgi-Toys-Spielzeug hatten. Natürlich sind die Comic-Autos generisch (wenngleich gesagt wird, Donalds Auto habe den 1937er American Bantam als Vorbild), aber der Stil ist eben der gleiche. Nun wirken die Autos von Donald und Noddy relativ klein, und deswegen verbindet der Betrachter den Kurogane reflexartig mit einer relativen Winzigkeit. Tatsächlich ist er größer, als man annehmen mag. Das liegt in erster Linie daran, dass der europäische Betrachter eben auf Fotos angewiesen ist. Denn mit Sicherheit gibt es in keinem europäischen Militär- oder Automuseum und in keiner Privatsammlung einen originalen Kurogane (die wenigen Existenten sind bekannt und weit weg von uns). Seit einiger Zeit allerdings gibt es ihn in 1:43 in Modellautovitrinen. Und in anderen, meist kleineren Militärmaßstäben, gibt es ihn schon länger. Grund genug, den Kurogane genauer anzuschauen – oder überhaupt erst kennenzulernen.
Für heutige Japaner ist Kurogane der Name eines Mangas. Für Automobilhistoriker ist es der Markenname eines zwischen 1928 und 1962 existenten Kraftfahrzeugbauers, voll ausgeschrieben 東急くろがね工業株式会社 und transkribiert Tōkyū Kurogane Kōgyō K.K.. Den Markennamen Kurogane (くろがね) verwendete die Firma ab 1937, zuvor hießen die Autos New Era, also Neue Zeit. In Japan hat alles eine kulturelle Bedeutung, auch „Kurogane“, es ist das altjapanische Wort für „Stahl“ und „Eisen“ und somit ein Verweis auf die tapferen japanischen Schwertkämpfer. Zunächst baute der Betrieb ausgewachsene Autos im US-Stil und Kleinwagen nach deutschem DKW-Vorbild, auch die typisch japanischen, leichten Dreirad-Nutzfahrzeuge. In den späten 50er Jahren kamen auch vierrädrige Lieferwagen hinzu, so genannte Kei-Vans, die japanischen Kleinwagen-Verordnungen genügten. All das hatte rein lokalen Charakter, kein Export, keine internationale Bekanntheit, jenseits von Japan nicht erwähnenswert. Erwähnenswert ist lediglich das Militärfahrzeug Nihon Nainenki Type 95 4×4 Light Vehicle ab 1937, das über Japan hinaus als Kurogane bekannt wurde, weil es eben der am meisten verbreitete, japanische Militärgeländewagen war, ein so genanntes „Scout Car“, wie in Deutschland der VW Kübelwagen, in England der Morris 8AP, in den USA und Frankreich der Willys Jeep und in der UdSSR der GAZ-67.
Ein Glücksbringer in unruhigen Zeiten
Ein personenwagenähnlicher Allradler schwebte dem Kaiserlichen Japanischen Heer bereits 1933 vor, zum Transport von Offizieren zwischen den Gefechtsständen. Mitsuibishi hatte so etwas im Programm, quasi den ersten Allrad-Personenwagen der Welt, den Mitsubishi PX-33. Aber das Militär griff nicht zu, beauftragte Mitsubishi statt dessen mit dem Bau von Lastwagen und Bussen und führte 1937 den Aufklärungswagen Typ 95 Kurogane ein. Bis 1944 wurden 4755 Exemplare gebaut, zunächst offener Zweisitzer (in der Machart eines Roadsters), danach mit drittem Sitz im Heck (rund 3000 Stück), der Rest war Pickups mit geschlossenem Fahrerhaus. Gebaut wurde er weitgehend von Hand, es gab kein Fließband. Eingesetzt wurde er zunächst im Zweiten Sino-Japanischen Krieg gegen China (1937 bis 1945, es ging um die Rohstoffe in der Mandschurei, also ein Kolonialkrieg und den Kampf gegen den Kommunismus), dann im Zweiten Weltkrieg. Japan erlebte damals sehr unruhige Zeiten, die Kämpfe dehnten sich auf den gesamten pazifischen Raum aus, der dortige Krieg hatte Auswirkungen auf den Zweiten Weltkrieg, China und die USA erklärten Japan den Krieg, dann erklärte China auch Deutschland und Italien den Krieg, weil Japan deren Verbündeter war. Die USA warfen Atombomben auf Japan ab, woraufhin Japan kapitulierte und beide Kriege beendet waren. Bis Frühjahr 1952 war Japan, nunmehr eine parlamentarische Demokratie statt eines Kaiserreiches, von den Alliierten besetzt, danach ein unabhängiges Land als Bollwerk gegen den asiatisch-pazifischen Kommunismus.
In dieser Zeit agierte also der Kurogane Typ 95. Kurioserweise haben viele Militärfahrzeuge Spitznamen, die ihnen die Soldaten geben, und beim Kurogane war es nicht anders: Sie sagten zu ihm だるま, was Daruma heißt und ein beliebter japanischer Glücksbringer ist, eine Pappmaché-Darstellung eines buddhistischen Mönchs. Konstruiert wurde der Kurogane mit den Erfahrungen der Topographie in der Mandschurei vom Chefingenieur und gleichzeitig Vizepräsident des Autowerkes, Tetsuji Makita, ein solider und aus dem Vollen gefräster Allradantrieb, sehr stabil und dauerhaft, aber auch sehr schwer und schwierig zu warten. Der Kurogane hatte einen deftigen Leiterrahmen, interessanterweise vorne keine Starrachsen an Blattfedern (was damals und bis in die 80er Jahre hinein das Attribut harter Offroader war), sondern Einzelradaufhängung und Schraubenfedern, hinten starr an Blattfedern. Er war dank zuschaltbarem Allradantrieb via Verteilergetriebe hoch geländegängig, was allerdings durch den flügellahmen Motor konterkariert wurde: ein luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-V-Motor mit nur 33 PS aus 1,4 Litern, die mit dem Fahrzeuggewicht (1060 Kilo leer) total überfordert waren. Dazu kam, im Widerspruch zur ansonsten soliden Konstruktion, dass der Wagen nur an den Hinterrädern Bremsen hatte. Die Luftkühlung hingegen war von Vorteil. Man kennt es aus der VW-Werbung: „Luft gefriert nicht, Luft kocht nicht.“ Der Kurogane war in der Kälte der Mandschurei ebenso zuverlässig wie auf den eroberten Inseln oder in Burma mit ihrer Wärme und der hohen Luftfeuchtigkeit. Der Kurogane hat das Verdienst, zu den allerersten allradgetriebenen Personenwagen weltweit zu gehören, vor dem französischen Laffly V15 (1937), dem sowjetischen GAZ-61 (1938) und dem US-Jeep (1941).
Ein nettes Kerlchen und heute äußerst selten
Nett anzusehen ist der Kurogane wegen seiner auf dem Leiterrahmen aufgeschraubten Karosserie. Die wirkt noch kleiner, als sie tatsächlich ist (Maße: 3,40 m lang, 1,48 m breit, 1,67 m hoch, 1,96 m Radstand) und wurde im Stile damaliger Roadster gezeichnet (Designer unbekannt, wahrscheinlich Tetsuji Makita). Natürlich frei stehende Kotflügel mit aufgesetzten Scheinwerfern, die Türausschnitte ganz sportlich oben ausgeschnitten, sodass die Besatzung lässig den Ellbogen auflegen konnte, auf der Heckpartie, die keinen Kofferraumdeckel barg, ein Reserverad, der Frontgrill erinnert optisch an jenen des Weltkriegs-Ford-Dreitonner-Lastwagen („Barrel Nose“), aber der kam 1938, ein Jahr später als der Kurogane. Auf dem Grill trug der Kurogane stolz den japanischen Stern, das Symbol der Kaiserlichen Japanischen Armee, dem die Bedeutung Sakura (= Kirschblüte) innewohnt. Und unter dem Stern war ein Loch, damit man den Motor mit der Handkurbel anwerfen konnte.
Direkt nach dem Krieg wurden übrig gebliebene Kurogane an Zivilisten verkauft, aber sie überlebten im ländlichen Japan nur wenige Jahre. Anfang der 50er Jahre waren sie aus dem Straßenbild verschwunden. Heute existieren nach Schätzungen weniger als zehn Kurogane-Fahrzeuge, zwei sind in japanischen Museen beheimatet, eines in einem ukrainischen, bekannt ist je ein Exemplar in privater Hand in Pennsylvania/USA und bei einer japanischen Firma, die Requisiten für Filme verleiht. In Südkorea soll Ende der 80er Jahre ein Fahrzeug in einer Remise aufgetaucht sein, das darin seit Kriegsende geschlummert hatte. Dann gibt es ein Foto von einem unrettbar verfallenen Exemplar auf der Insel Babelthuap, die zum Inselstaat Palau im pazifischen Ozean gehört. Das Foto ist auf der Webseite Pacific Wrecks zu sehen: https://pacificwrecks.com/vehicle/korogane/babelthuap/kurogane.html
Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, einen Kurogane in natura zu sehen, ist zumindest für einen Mitteleuropäer eher gering. Also behilft man sich als Sammler mit Modellen.
Militärkits aus Plastik, zwei 43er und aktuelle 3D-Drucke
Die Kurogane-Miniaturen stellen die Version 1937 bis 1939 dar mit drei Sitzen und ovalem Grill. Im August 1940 kam ein rechteckiger Grill und der Kurogane wurde zum Viersitzer. Der Pickup von Ixo wurde nur im letzten Produktionsjahr 1944 hergestellt. Die beiden aktuellen Modelle, ein offener Roadster und ein Pickup, sind in traditioneller Modellauto-Machart von Ixo in 1:43 aus Zinkdruckguss hergestellt. Wie so häufig, sind die Modelle einer Partwork-Serie zu verdanken, hier die Serie „Voitures militaires de la Seconde Guerre Mondiale“, die in Frankreich seit August 2021 läuft und mittlerweile bei Nummer 70 angekommen ist. Die beiden Kurogane erschienen im Juni (Roadster) respektive Dezember 2023 (Pickup), Preis jeweils sympathische 15,99 Euro, aber eben nur 14 Tage lang am Kiosk und nur in Frankreich erhältlich. Danach werden diese Kioskmodelle zur Ebay-Angelegenheit und dadurch jenseits von Gallien erhältlich. Gerade Militärfahrzeuge, die weltweit begehrt sind, schnellen teilweise gewaltig in die Höhe. Auf die beiden Kurogane sind logischerweise japanische Sammler scharf, und die scheuen bekannterweise keinen Betrag. Außer diesen beiden gibt es keine 1:43-Interpretationen des Kurogane. Aber es gibt ein paar Plastikbausätze aus Japan in typischen Militärmaßstäben. Die passen allerdings nicht zu den geläufigen Modellautomaßstäben.
Am nächsten an 1:43 ist der Tamiya-Plastikbausatz in 1:48, den wir 2008 erwarben, überschaubare Anzahl an Bauteilen, stellt den Modellbauer vor keine Herausforderungen, alles sehr passgenau, typische Tamiya-Bausatzqualität eben, muss aber natürlich lackiert werden. Das taten wir, aber nicht gerade vorbildgetreu. Wir erwarben den Kit damals nicht des Kurogane wegen, sondern weil das Modell auf der Verpackungsillustration so schnuckelig und süß aussah und uns spontan an das Donald-Duck-Auto erinnerte. Entsprechend unmilitärisch und womöglich auch unseriös wurde es lackiert, als phantasievoller Hingucker eben. Dieses Modell sieht einfach nur drollig und possierlich aus (wir wollen nicht schon wieder den Putzometer bemühen, sonst nutzt er sich ab). Den 1:48-Tamiya-Bausatz gibt es fabrikneu derzeit nicht, es finden sich aber einige ungebaute Exemplare auf Ebay zu vernünftigen Preisen. Seitens Tamiya lieferbar sind allerdings zwei Sets, je ein japanischer Kampfjet (JPN Ki-61-Id oder JPN Ki-46-III 100) zusammen mit einem Kurogane, je rund 40 Euro. Im selben Maßstab 1:48 gab es das kleine Scout Car auch von Hasegawa als Plastikbausatz.
Thomas Gunn Miniatures aus England hat einen Pickup als handgefertigtes 1:30-Plastikmodell im Programm (110 Britische Pfund), Fine Molds hat einen Roadster und Pit-Road einen Pickup im typischen Militärmaßstab 1:35 zu bieten (beide sind japanische Bausatz-Hersteller), von ACE aus der Ukraine kommt ein Bausatz in 1:72 (werksseitig ausverkauft), und Brigade Games aus New Jersey/USA fertigt einen Kurogane mit und ohne Verdeck im Maßstab 1:36 aus Resine mit Metallteilen. Sodann gibt es einige im 3D-Druck gefertigte Kits in kleinem Maßstab (meist um die 2 cm lang), aber auch große Modelle in 1:16 und 1:24, Minis and Crafts aus Washington/USA macht einen in 1:32. Die Auswahl ist also nicht klein, doch die Maßstäbe sind für Modellautosammler ziemlich quer. Aber das hat sich jüngst durch die Ixo-Neuerscheinungen geändert, und mal wieder war nicht der Krieg der Vater aller Dinge, sondern die Kiosksammlung die Mutter bisher unminiaturisierter Modellautos.
afs