Hayes, Russell: VW Golf Story. Alle Generationen seit 1974. Stuttgart (Motorbuch-Verlag) 2024, 320 Seiten. ISBN 978-3-613-04642-9. Preis 49,90 Euro.
War ja klar: Der Golf feiert seinen Fünfzigsten. Das ist ein Jubiläum (tatsächlich ist es eines, hier wird das Wort nicht falsch gebraucht, wie so oft), und das ist stets der Anlass für Rückschauen. 50 Jahre Golf in der Apotheken-Rundschau (das eine Extrem) und von Russell Hayes (das andere Extrem), für den Motorbuch-Verlag ins Deutsche übersetzt von Joachim Kuch und Georg Otto. Kuch, der Programmleiter und Cheflektor bei Motorbuch, kann deutsch. Das ist gut, das merkt man beim Lesen. Das Buch liest sich gut, wirkt nicht übersetzt, wirkt, als sei es muttersprachlich. Oftmals sind übersetzte Werke ein Graus. Hier nicht. Hayes ist im englischsprachigen Raum ein bekannter Autobuch-Autor, verfasste beachtete Lotus- und TVR-Monographien und widmete sich immer wieder den Volkswagen, der luftgekühlten und den wassergekühlten. Sein Golf-Buch datiert von 2014 und stammt aus dem englischen Behemoth-Verlag, die erste deutsche Ausgabe bei Motorbuch kam 2015, wurde nun um die fehlenden Jahre und somit den Golf VIII aktualisiert. So feiert Motorbuch den runden Golf-Geburtstag. Natürlich mag man sich fragen, ob der Motorbuch-Verlag, der viele hochrangige Automobil-Autoren unter Vertrag hat, nicht einen deutschen Verfasser hätte gewinnen können, um des Golfes Jubiläum zu feiern. Umgekehrt hat die englische Urheberschaft auch Vorteile. Illustriert ist das Buch fast ausnahmslos mit Werksaufnahmen. Die sind sattsam bekannt. Aber Hayes bekam seine Fotos auch von Volkswagen UK. Und wegen der vermaledeiten Rechtssteuerung sind britische Importeure stets dazu verdammt, eigene Werksfotos anfertigen zu lassen. So sehen wir also englische Gölfe statt der ewigen Wolfsburger Brut.
Hayes gräbt tiefe Löcher, und weil das britische Löcher sind, griff Joachim Kuch ebenfalls zur Schaufel und teutonisierte das Ganze. Was Hayes nicht wusste oder aus britischer Sicht für nicht erwähnenswert hielt, wusste Kuch und erwähnte es. Beispiel: Die vielen deutschen Golf-Sondermodelle.
Zunächst beginnt alles mit dem Käfer, denn ohne Käfer kein Golf, und letztlich war der Golf der Käfer-Meuchler. Er beerbte ihn nicht nur chronologisch, sondern auch soziologisch als klassenloses Fahrzeug. Keiner war und ist klassenloser als der Golf, obgleich er die so genannte Golf-Klasse begründete. Erwähnung findet die Totgeburt EA 266, jene Krücke mit dem einen Meter langen Ölmessstab, die als Käfer-Nachfolger geplant war, und dann folgt jede Generation. Bis ins kleinste Jota, Entwicklung, Technik, Namen, Auslandsmodelle, Sondermodelle, Tuning, Rücksack-Gölfe, Erdbeerkörbchen, Nebendarsteller (wer erinnert sich noch an den Biagini Passo? Ein Golf II Country mit modifizierter Golf-I-Cabriokarosserie). Es wird über G-Lader und Viskosekupplungen gesprochen, über im do-it-yourself-Verfahren aufgeschnittene Bieber-Cabrios (die waren so peinlich!), über Rallyeautos und Sechsender mit merkwürdiger Zylinderanordnung, über ein pummeliges Retroauto à la Käfer mit Golf-Technik, über Mini-Vans und Coupé-Cabriolets.
Natürlich ist es ein Golf-Buch. Aber es ist auch eine Retrospektive über die automobilen Trends des vergangenen halben Jahrhunderts. Denn es gibt kaum einen Trend, den der Golf nicht mitmachte, und so manchen begründete er sogar. Man muss den Golf nicht lieben, um ihn zu schätzen. Über 30 Millionen wurden produziert, und über 30 Millionen Käufer und (noch viel mehr) Fahrer werden schon gewusst haben, was sie warum taten. Gibt es überhaupt einen Deutschen, der nicht weiß, was ein VW Golf ist? Gibt es einen, der noch nie in einem saß oder noch nie einen fuhr (von den Führerscheinlosen mal abgesehen)? Der Golf ist einfach wichtig, und Russell Hayes’ Buch wird ihm gerecht. Nachdem wir es gelesen haben, relativiert sich die zuvor gestellte Frage. Nein, man benötigt dafür keinen deutschen Autor. Russell Hayes hat alles genau richtig gemacht.
afs