Faszination Modellautos

Literatur

Lesenswertes: Destination 901

Weidenhammer, Peter: Destination 901. Die Vorgeschichte des Porsche 911 – Von der Idee zur Weltpremiere (Edition Porsche Museum). Stuttgart (Motorbuch-Verlag) 2023, 448 Seiten. ISBN 978-3-613-32149-6. Preis 79 Euro.

Gibt es Ungesagtes, Ungehörtes und Ungesehenes zum Thema Porsche 911? Wohl kaum, und wenn, dann sind es Petitessen. Regalmeter an verfügbarer Porsche-911-Literatur sprechen eine beredte Sprache. Aber es gibt viel Neues zum Thema Porsche 901. So hieß der Elfer, bevor er 911 hieß, als lüsterner Gedanke seiner Schöpfer, als Prototyp, in der Entstehung. Darum geht es in „Destination 901“, 450 Seiten lang, 600 Abbildungen zum Anschauen, 2,8 Kilo zum in der Hand Halten. Das liest man nicht freihändig. Dafür braucht es eine stabile Unterlage.

Kein Schuber, dafür blauer Leineneinband, edel und nobel, vom Porsche-Archiv herausgegeben, und Porsche wechselte bei seinen Publikationen den Verlag, von Delius-Klasing zu Motorbuch. Autor Peter Weidenhammer recherchierte im Porsche-Archiv, also an der Quelle der Entzückung, und er recherchierte viel und gut. Die Entwicklungsgeschichte des Porsche 911 ist in vorhandener Elfer-Literatur meist das zweite Kapitel (nach einem über den 356), aber eben nur ein Kapitel. Hier ist dieses Thema der Inhalt eines Schmökers. So umfangreich, so detailliert, so reichhaltig bebildert, so hintergründig wurde die Story, die von der Idee zur IAA-Präsentation führt, noch nie zuvor dargestellt. Die Sprache ist hochprofessionell und sehr sachlich, doch da unser Rezensionsexemplar eine englische Ausgabe ist, können wir die deutsche, die der deutsche Kunde wohl bevorzugt, zumindest nicht muttersprachlich beurteilen. Sehr spannend sind die unterschiedlichen Entwürfe von Erwin Komenda (der den 356 und den Käfer gezeichnet hatte) über Graf Goertz (der durchaus Anklänge an den späteren 911 zeigt) bis zu Ferdinand Alexander „Butzi“ Porsche, der die Optik des endgültigen Elfers schuf. Chefdesigner Komenda war not amused, dass sich Ferry Porsche für den Entwurf seines Sohnes Butzi entschied – zumal dieser sein Studium an der Hochschule für Gestaltung in Ulm bereits nach zwei Semestern geschmissen hatte. Komenda musste ihn im Porsche-Stylingstudio beschäftigen und dann wurde sein Entwurf demjenigen des Chefdesigners vorgezogen.

Es werden Köpfe portraitiert, bekannte wie weniger bekannte, und mancher Köpfe Erguss füllt eine ganze Buchseite. Es hätten nicht unbedingt 450 Seiten sein müssen, es wäre auch bescheidener gegangen. Aber warum bescheiden? Gerade bei Porsche ist Bescheidenheit zwar eine Tugend, aber keine Notwendigkeit. Das Buch soll auch optisch etwas hermachen! Das Bildmaterial, welches das Porsche-Archiv zutage gebracht hat, ist großartig. Nicht nur Designmodelle, Zeichnungen und professionelle Fotos, sondern auch Schnappschüsse von „Men at Work“, die besonders schön sind, Fachleute am Reißbrett, am Zeichentisch, im Modellierraum, Karosseriebauer mit einem Hammer in der Hand. Man sieht auch durch fotografischen Beweis, dass Ferdinand Piëch in jungen Jahren Haare hatte. Und dann diese Designmodelle, meist im Maßstab rund um 1:10 – sie sind schon faszinierend… Wer das Privileg genießt, im Porsche-Archiv Gast sein zu dürfen, weiß, dass diese einzigartigen Modelle dort veritabel herumstehen, in raumhohen Regalen, eines neben dem anderen, etliche Reihen übereinander. Darunter die Technischen Programme T7 und T9, die ins Nichts führten, und T8, das schließlich und endlich den Produktnamen 901 erhielt und anfangs seitens der Händler ein gemischtes Feedback erhielt (zu sechszylindrig, kein Viersitzer, zu teuer). Der erste 901-Prototyp war am 9. November 1962 fahrfertig, und nicht alle endgültigen Prototypen stammen aus dem Karosseriewerk Reutter, der fünfte 901 kam von Karmann. Den Abschluss des Karosserieentwicklungs-Parts bildet ein Interview mit dem heutigen Porsche-Chefdesigner Michael Mauer. Danach sind 330 Seiten zu Ende, es bleiben noch 120 für die technische Entwicklung (Motor und Fahrwerk). Sie ist, dem Thema geschuldet, für das Buch notwendig, doch hierin erfährt der gelernte Elfer-Spezialist nichts Neues mehr, weil es schlichtweg nichts Neues mehr gibt.

Wer bis jetzt meinte, sein Elfer-Wissen sei ebenso ausreichend wie seine Elfer-Bibliothek, wird durch dieses Buch eines Besseren belehrt. Eines braucht er noch. Dieses.

afs