Ein bewegtes Leben: von Monte Carlo bis Bonneville
Mercedes 300 SL, der Dritte. Nach einem weißen Flügeltürer und einem schokobraunen Roadster folgt als neuestes Wiking-Sondermodell des Nationalen Automuseums wieder ein 300 SL Flügeltürer. Das Vorbild hat eine ganz besondere Vita und das Modell beeindruckt durch seine Dekoration.
Das National Auto Museum – The Loh Collection hat sein neues Sondermodell, das natürlich auch Bestandteil der Ausstellung sein wird, wieder auf der Basis des Wiking Mercedes 300 SL aus der alten Form von 1983 bestellt. Auf der feuerroten Karosserie sind alle Beschriftungen und Logos des Originalfahrzeugs vorhanden, und dies in einer tollen Bedruckungsqualität. Der Käufer sollte eine Lupe zur Hand nehmen und das Modell in aller Ruhe betrachten. Nicht nur die Startnummer 106 in einem weißen Kreis, auch die Sponsorenwerbungen sind vollständig und mehrfarbig vorhanden. Hier zeigt Wiking, zu was es drucktechnisch fähig ist – Hut ab. Der Kühlergrill ist schwarz hinterlegt und silbern umrandet. Gesilbert sind zudem die Mercedes-Sterne an der Front und am Heck, ebenso wie die Scheinwerfer und das Luftgitter auf der Motorhaube. Allerdings gibt es keine silberfarbenen Scheibenrahmen, das muss in diesem Fall auch nicht unbedingt sein. Dafür sind die Blinker und die Rückleuchten bemalt. Die Rennfahrzeugminiatur rollt auf Straßenfelgen, da Wiking keine Rudgefelgen mit Zentralverschluss im Sortiment führt – Kein Beinbruch. Die Gesamtwirkung des roten 300 SL ist einfach phänomenal.
Eine derartige Aufmerksamkeit bei der Umsetzung ins Modell hat das Vorbildfahrzeug zwingend verdient. Die Geschichte dieses Mercedes 300 SL ist spannend zu lesen. Wir zitieren hier den umfangreichen Pressetext des Nationalen Automuseum:
„Auch mit Flügeltüren kann man fliegen. Das beweist der legendäre Mercedes-Benz 300 SL „Don Ricardo“, als bei Tempo 240 die Fahrertür aufspringt. Der dramatischste Moment im bewegten Leben dieses einzigartigen Autos. Die Geschichte des feuerwehrroten Flügeltürers beginnt am 20. Juni 1955 mit der Auslieferung an seinen Erstbesitzer Max Egon Becker. Der gelernte Rundfunktechniker ist Gründer und Chef des Autoradio-Herstellers Becker sowie passionierter Hobby-Rennfahrer. Und als eine von nur 29 produzierten Leichtbauversionen mit Aluminiumkarosserie ist das 300 SL Coupé mit der Chassis-Nummer 5500426 prädestiniert für den Motorsport. 1955 startet Becker mit seiner Ehefrau Otti im nagelneuen 300 SL bei der Rallye Wiesbaden, 1956 nimmt er mit seinem Bruder Rolf an der Rallye Monte Carlo teil (Platz 223). Ende der 50er Jahre geht der Flügeltürer in die USA. Angeblich war er Otti Becker – selbst eine routinierte und sportliche Fahrerin – „viel zu schnell“. Doch der Wagen wird noch schneller. Viel schneller…
Im Mai 1966 kauft ihn der berühmte Musiker Don Ricardo aus Pasadena, Kalifornien. Als Bandleader von „Don Ricardo And His N.B.C. Orchestra”, der Bigband des Radio- und Fernsehsenders NBC, ist Ricardo über 50 Jahre lang gut im (Show-)Geschäft. Muss er auch sein, schließlich liebte er schnelle, seltene und teure Autos. Im Laufe der Jahre gehen allein über 20 Flügeltürer durch die Hände des Mercedes-Fans, doch nur einer wird für immer seinen Namen tragen… Mitte der 60er hat Don Ricardo in punkto Motorsport schon viel erlebt: 1956/57 war er mit einem 300 SL bei Drag-Rennen angetreten und südkalifornischer Meister in der Klasse über 1,5 Liter geworden. Zehn Jahre später sucht er eine neue Herausforderung und kauft dafür den ehemaligen „Becker-Benz“.
Ricardo kann nicht nur musizieren, der Maschinenbauer ist auch ein versierter Mechaniker. Gemeinsam mit dem deutschstämmigen Rennfahrer Lothar Motschenbacher frisiert er den Motor seines neu erworbenen Alu-Flügeltürers nach allen Regeln der Kunst. Mehr Hubraum, höhere Verdichtung, schärfere Nockenwelle – das 3,3 Liter Triebwerk leistet nun 250 PS (Serie: 215 PS) und bekommt für seine nächste Mission zusätzlich eine aerodynamisch günstige Unterboden-Verkleidung. Dann geht’s per Anhänger zum 1.000 Kilometer entfernten Salzsee von Bonneville, dem Mekka der Speed-Freaks. Mit Startnummer 106 jagt der mittlerweile 59jährige Don Ricardo im 300 SL auf den „Bonneville Salt Flats“ den Geschwindigkeitsrekord in der Klasse „E/GT“.
Ricardo kennt kein Pardon, ignoriert das Drehzahllimit von 6.400 U/min und peitscht den 300 SL teilweise mit 7.500 Touren übers Salz. Der selbstgebaute Motor hält, die Fahrertür leider nicht. Bei über 240 km/h springt sie mit einem lauten Knall auf und macht dem Namen Flügeltür alle Ehre: Die komplette linke Fahrzeugseite inklusive Rädern hebt vom Boden ab, ein Riesencrash scheint unvermeidlich. Doch Don Ricardo bleibt cool, geht ganz sanft vom Gas und kann den Wagen auf zwei Rädern in der Spur halten. Nach einigen Metern landet der Flügeltürer wieder auf allen Vieren, selbst die Tür wird wie durch ein Wunder nicht aus der Verankerung gerissen. Zurück im Fahrerlager bindet sie Ricardo kurzerhand mit einem Seil fest und startet direkt zum nächsten Versuch. Diesmal klappt’s: Mit 153,771 mph (247,47 km/h) schnappt sich Don Ricardo den ersehnten Geschwindigkeitsrekord und schreibt mit seinem „fliegenden Flügeltürer“ Bonneville-Geschichte. Sein Rekord bleibt bis 2002 ungebrochen, den 300 SL erhält der Sammler bis zu seinem Tod im Jahr 2001 im Zustand der Rekordfahrt. Heute zählt der „Don Ricardo-Flügeltürer“ zu den authentischsten und faszinierendsten Exemplaren seiner Art.“
kr
Steckbrief:
Wiking 8230 03 Mercedes 300 SL W198/I „Don Ricardo“ 1955. Karosserie und Felgen feuerrot. IA schwarz. FG silbern. Startnummer 106. Auflage 1000 Stück. UVP 27,99 €