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Sammeln: Bisher unbekannter Plastik-BMW 501 in Märklin-Machart

Der unbekannte Barockengel

Da taucht vor Jahren aus dem Nichts ein Miniaturauto auf, das niemand kennt. Wird in bemerkenswerten Zahlen auf den Second-Hand-Markt geworfen. Die Sammler rieben sich die Augen, rätseln und forschen und sind zu keinem Ergebnis gekommen. Der Hersteller ist unbekannt geblieben. Bis heute. Caramini-online lüftet das Geheimnis, wer den ominösen Plastik-BMW 501 in 1:45 herstellte und belegt, dass es sich nicht um ein zeitgenössisches Modell handelt.

Manchmal tauchen Nebelkerzen auf, Lager werden geräumt, Boden- oder Kellerfunde ebnen sich den Weg in die Sammlerszene. Eine Geschäftsaufgabe mag die Ursache dafür sein, der Nachlass eines Verstorbenen, die Räumung eines Hauses vor dem Verkauf oder Abriss. Dann ist Ebay plötzlich voll mit einem Modell, das zuvor eine Rarität war und danach keine mehr ist. Die ersten, vorsichtig verstreuten Exemplare erzielen hohe Preise, später verbreiten sich die Modelle in der Szene, werden preiswerter. Dann, nach einiger Zeit, ist der Bestand verteilt und in Sammlerhand. Dann ist erst mal Ruhe. Später trennt sich der ein oder andere wieder davon, dann erinnert man sich daran: Ach ja, da war doch vor einigen Jahren eine Schwemme mit genau diesem Modell.

Zwischenzeitlich haben sich die Preise dann wieder normalisiert. Wer ein Modell wollte, hat es sich besorgt. So ging es beispielsweise mit dem Mercedes 300 SL Roadster von Rex, von dem 2010 eine größere Menge im originalen Tütchen verpackter Exemplare auftauchte. Oder die fabrikneuen Prämeta-Modelle der Sonderserie „25 Jahre Postel“, von welchen die Sammler um 2015 überrascht wurden und die wahrscheinlich aus der hinterletzten Ecke des Kellers der heute noch existenten Firma Prämeta in Köln gestohlen und anschließend angeboten wurden.

Ein Plastik-BMW 501 kam aus dem Nichts

Für ein ähnliches Rumoren sorgten die Plastik-BMW 501 im Maßstab 1:45, die 2010/11 aus dem Nichts kamen. Keiner kannte die Modelle, aber jeder hatte ein Déjà-vu-Erlebnis: Ganz eindeutig orientierten sich die BMW formal und dimensional am Märklin-8000er-Modell. Anfänglich waren sie recht teuer, mehr als 40 Euro, was sich nach einem halben Jahr deutlich relativierte und halbierte. Mittlerweile sind, wie oben beschrieben, die Bestände verteilt und ab und an wird ein Modell angeboten, das dann meistens um die 25 Euro kostet. Es sind genügend Exemplare im Umlauf. Wer einen möchte, bekommt einen oder sogar mehrere. Und immer wieder taucht die Frage nach dem Hersteller auf. Eine Frage, die bislang nicht beantwortet werden konnte.

Der BMW wurde nach dem Vorbild des Märklin-Modells entwickelt, hat genau dessen Proportionen und fast seine Dimensionen (er ist geringfügig kleiner), auch seine Besonderheiten. Der Formenbauer orientierte sich also nicht am Original oder an Fotos desselben, sondern hatte ein Märklin-Modell auf seinem Schreibtisch stehen. Wie das Märklin-Modell (Zinkdruckguss-Karosserie, geschraubtes Blechfahrgestell) besteht der unbekannte BMW aus zwei Teilen, Karosserie und eingeklipstes Chassis, die Räder sind einteilige Rad-Achs-Einheiten aus meist schwarzem Plastik (manchmal auch hell, nahezu weiß). Die Modelle sind aus ziemlich buntem Kunststoff, Ober- und Unterteil harmonieren farblich zumeist nicht miteinander. Manche Modelle sind marmoriert. Marmorierter Kunststoff entsteht, wenn es einen Farbwechsel in der Kunststoffspritzmaschine gibt. Seriöse Hersteller sortieren Marmoriertes als Abfall aus, Sammler lieben marmorierte Modelle eben deshalb und weil jedes für sich ein Unikat darstellt. Es gibt auch BMW aus transparentem Kunststoff, auch durchsichtig mit leichtem Farbstich. Farblich ist also (fast) alles möglich.

Ein Rätselraten in der Szene

Es gab verschiedene Narrative zur Geschichte des Modells. Die stichhaltigste Geschichte lautet: Wenn es sich bei diesem BMW 501 um eine zeitgenössische Konstruktion handeln würde, so müssten wenigstens einzelne Exemplare in Sammlerhand bekannt sein, die vor 2010/11 bereits existent waren. Denn selbst wenn die Produktion dieses Modells aus welchen Gründen auch immer nicht auf Touren kam, so wäre dennoch eine kleine Menge in Umlauf gekommen, und das ein oder andere hätte überleben müssen. Daraus schlossen die Sammler (zumindest jene, die sich für die Geschichte ihrer Modelle interessieren), dass der Formenbau und die Produktion tatsächlich im neuen Jahrtausend stattfand. Aber warum? Und von wem? Es handelt sich um ein Spielzeugauto im Stil der 50er Jahre, einfach gehalten und gestaltet. Wenn dieses Spielzeugauto mit der Absicht geschaffen worden wäre, um mit einem Retro-Spielzeug Gewinn zu machen, so müsste man einen Hersteller kennen, und dieser Hersteller hätte einen Vertrieb aufgebaut. Aber diese BMW wurden ausschließlich über die Second-Hand-Schiene vertrieben. Wer also ist die „First Hand“?

Des Rätsels Lösung: die Bakelite GmbH

Hersteller des Modells ist die Bakelite GmbH. Aber das Modell ist nicht aus Bakelit. Bakelit (oder: Bakelite) ist ein Kunstharz und der erste vollsynthetische und ab 1907 industriell produzierte Kunststoff überhaupt, erfunden 1905 vom belgischen Chemiker Leo Hendrik Baekeland und nach ihm benannt. Er basiert auf Phenolharzen (also Kunstharzen aus Phenol und Formaldehyd). Der Rohstoff ist dickflüssig, wird mit Füllstoffen angerührt und dann im Spritzguss- oder Pressverfahren verarbeitet. Anschließend trocknet die Masse unter Hitze und Druck aus und wird steinhart. In den späten 30ern erlebte Bakelit einen ungeheuren Aufschwung, nachdem 1927 Baekelands Patent ausgelaufen war. In den 30er Jahren gab es im Deutschen Reich mehrere hundert Bakelit-Presswerke. Bis in die 50er Jahre hinein war Bakelit sehr en vogue, in West- wie in Ostdeutschland, ja auf der ganzen Welt. Aber nach dem Krieg kamen andere Kunststoffe auf, vor allem Polystyrol, das für alles mögliche, auch für Spielzeugautos, geeigneter ist als Bakelit. Die zahlreichen Bakelithersteller mussten sich also umstellen, viele stiegen auf andere Kunststoffarten um, andere gingen ein. Auch die Inhaberin der Ursprungspatentes musste sich auf neue Gegebenheiten ein- und ihre Produktion umstellen, die Bakelite GmbH, existent zwischen 1910 und 2004, zunächst in Erkner bei Berlin als Bakelit-Lizenznehmer für ganz Europa, nach dem Zweiten Weltkrieg in der Westzone in Iserlohn-Letmathe. Ab Anfang des neuen Jahrtausends erfolgten einige Besitzerwechsel. Um einen neuen Werkstoff auf Messen zu präsentieren, benötigte die Bakelite GmbH Leistungsbeweise, quasi Visitenkarten. So wurden in den 70er Jahren die BMW 501 geschaffen, die auf Messen als „give away“ hätten verteilt werden sollen – als Beweis dafür, dass die Bakelite GmbH nicht nur Bakelit, also Phenolharz, sondern auch moderne Kunststoffe produzieren kann. Dazu kam es, aus welchen Gründen auch immer, nicht. Die bunten Barockengel-BMW verlieben im Lager. Die Rohdaten dieser Geschichte sind belegt durch die Erzählungen von „Boris“, der seinen vollen Namen nicht lesen möchte. „Boris“ ist der Enkel jenes Mannes, der die Werkzeuge zur Produktion des BMW 501 bei der Bakelite GmbH in den 1970er Jahren geschaffen hatte, und bei „Boris“ lagern die ungenutzten Werkzeuge noch heute. Doch er hat mit dem massiven Auftauchen der Miniaturen anno 2010/11 nichts zu tun. Er vermutet, und das klingt plausibel, dass die Modelle bei einem der zahlreichen Eigentümerwechsel zutage gekommen waren und anschließend von jemandem, der ein Geschäft witterte, in Umlauf gebracht wurden.

Warum ein Barockengel? Wahrscheinlich nur zufällig

Warum wurde in den 70er Jahren ein damals über 20 Jahre alter BMW Barockengel miniaturisiert? Die Antwort kann nur spekulativ sein: Weil es nicht um den Fahrzeugtyp ging, sondern darum, etwas Kleines aus einem modernen Kunststoff zu fertigen. Irgendwer im Bakelite-Werk hatte, vielleicht aus seiner Kindheit, einen Märklin BMW 501 und hatte die Idee, dieses Miniaturauto als Vorbild für das Werbeprodukt zu nehmen. Es hätte genauso gut ein anderes Spielzeugauto sein können. Oder gar kein Spielzeugauto, sondern womöglich eine Qietschente.

Das Material, aus dem der BMW besteht, ist ABS (Acrylbutadienstyrol-Copolymer), eine Abart von Polystyrol. Die Machart des Spritzwerkzeugs ist recht einfach, aber solide ausgeführt, es ist ein einfaches „Auf-Zu-Werkzeug“ ohne irgendwelche Hinterschneidungen, daher gibt es keinen Bedarf für so genannte Seitenschieber. Die Bodenplatte verrastet vorne mit den Scheinwerferimitationen in den Scheinwerferausschnitten der Karosserie. Die Räder sind Rad-Achs-Kombinationen aus einem Stück, also auch die Achsen sind aus Plastik. Im Innenbereich von Dach und Bodenplatte erkennt man je einen Anspritzpunkt mit Zentrierkegel. Das legt die Vermutung nahe, dass sogar Innenausstattung und Verglasung vorgesehen waren, die sich mit diesen Kegeln zentrieren sollten. Doch dazu kam es nicht. Damit ist ein weiteres Miniaturauto, dessen Hersteller die Sammler in ihren Bestandslisten bisher mit „unknown“ benennen mussten, in „known“ umgewandelt worden. Der unbekannte Plastik-BMW 501 war in den 70er Jahren als Leistungsbeweis der Bakelite GmbH gedacht, auch ABS-Plastikprodukte herstellen zu können. Doch dieser Leistungsbeweis kam damals nicht zum Einsatz. Dafür tauchten die eingelagerten Bestände rund 40 Jahre später en masse auf. afs

Caramini-online dankt Jürgen Bolle für die Recherchehilfe. Jürgen Bolle ist nicht „Boris“.

Der Märklin-Barockengel als Vorbild für ein H0-Modell

Der BMW 501 der Bakelite GmbH ist nicht der einzige, der sich das Märklin-Modell zum Vorbild genommen hat, wenngleich er der bekannteste ist. Es gibt auch ein zeitgenössisches Metallauto im H0-Maßstab mit Kunststoffrädern an Stahlachsen, das sich eindeutig an der Märklin-Interpretation orientiert. Es wurde in der zweiten Hälfte der 50er Jahre in Westdeutschland gefertigt. Auch hier ist der Hersteller in Sammlerkreisen unbekannt. Der H0-Barockengel ist nicht das einzige Modell dieser Serie. Bekannt sind daneben ein Volkswagen Käfer von 1957 (großes Heckfenster), ein Karmann Ghia Coupé und ein Mercedes 190 SL. Womöglich gab es mehr. Der BMW ist, wie alle Vertreter dieser Serie, selten. Wir können nur ein bespieltes Exemplar zeigen.